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In Hof und Garten, Lektionen durch Zeit und Raum


Lebensfreude pur
Lebensfreude pur

Warum soll man ein Leben nicht retten, wenn man kann…

Wir haben einen neuen Mitbewohner im Paulischer Hof. Ungestüm, kraftstrotzend, aber sehr freundlich und anhänglich bereichert ein Hund, dem wir aufgrund seines beeindruckenden Auftretens den Namen Rex gaben, unser Anwesen und unseren Aufenthalt dort. Wir trafen uns im Mai, als wir einen Mitfahrer nach Billed brachten und der weiße Wolf mein Herz im Sturm und im strömenden Regen eroberte. Pitschnass führte der herrenlose Hund einen Freudentanz auf, als wir beim Billeder Zwischenstop aus dem Auto ausstiegen und hinterließ durch seine Freundlichkeit und Lebensfreude einen bleibenden Eindruck. Zwei Tage später fuhren wir wieder zur gleichen Stelle, wo er schon wartete, luden den jungen Rüden kurzerhand ein und ich räumte ihm einen Platz im Hof und im Leben ein. Die Entscheidung ihn von der Straße zu holen, war gut überlegt. Würde er bei uns glücklich werden und würde er zu unseren anderen Hunden passen? Rex beantwortet diese Fragen täglich, indem er mit ausgelassenen Sprüngen für jede Mahlzeit dankt und mit beachtlicher Geschwindigkeit durch den Hof rennt, dass es Freude ist zuzusehen. Sein kraftvoller Optimismus wirkt ansteckend, so dass wir zusammen springen und toben. 

Man kann manchmal Leid lindern, gar Leben retten. Es ist eine Binsenweisheit, dass, wenn man sich entscheidet zu helfen, viel zurück kommt.  


Im Paulischer Hof erfuhr ich das erste bewusste Wahrnehmen eines Quadrupeden namens Fritz, ein Mischlingshund, nicht so imposant wie Rex, doch ein guter Wächter. Für damalige Verhältnisse ging es dem Hofhund gut. Er lag an einer Kette, die entlang eines langen Drahtes lief, so dass er zu einer Zeit, in der die meisten Wachhunde kurz angebunden waren, einen großen Bewegungsradius hatte. Als Dreijährige war meine erste Handlung, nachdem ich hinaus durfte, zu Fritz zu laufen und ihn zu streicheln. Der Hund wusste, dass ich zu Haus und Hof gehöre und verzieh mir so manche heftige Annäherung und Grenzüberschreitung. Zum Beispiel das Kuckuck-Spiel: Ich steckte seinen Kopf voller Überschwang unter meinen Sweater und freute mich, wenn er sich gutmütig wedelnd wieder befreite. Nicht so gut erging es damit meinem gleichaltrigen Freund Jürgen: nach ihm schnappte er unter der Strickjacke befreit und verletzte ihn an der Lippe, so dass er zum Arzt musste, wo er eine Anti-Tollwut Spritze in den Bauch bekam. Ich war erschüttert und voller Schuldgefühle angesichts dieses Missgeschicks, da ja ich Jürgen das Spiel beigebracht hatte. Fritz war es hinterher auch peinlich, doch es ließ sich nicht mehr ändern. Die Narbe aus dieser Lektion hat Jürgen nach über 50 Jahren noch heute.


Eine Bienen- und Augenweide
Eine Bienen- und Augenweide

Die Entscheidung, im Hof einen Teil der Wiese für Insekten stehen zu lassen, ersparte uns nicht nur die Mühe, dieses Teilstück zu mähen, sondern bescherte auch robuste, farbig blühende Naturschönheiten, die eine wahre Augenweide darstellen. Täglich besuchten Bienen und bunte Schmetterlinge die Blüten und verwandelten diesen naturbelassenen Bereich in einen lebendigen Tummelplatz für alles was kreucht und fleucht. Ich kannte solche Wildblumenwiesen aus der Kindheit, als wir noch mit Netzen bewaffnet den unzähligen Faltern meist vergeblich nach jagten. Es ist schon seltsam, sich heute vorzustellen, wie wir diese zarten Geschöpfe zu besitzen trachteten, sie stundenlang haschten (allein das Wort ist heute antiquiert), genauso wie glücklicherweise die Praxis des Insektenfangs. Die “Puppateller”, wie die Schmetterlinge in Paulisch genannt wurden, sind leider selten geworden und ich hoffe, dass sie den Weg in meinen Hof finden, in dem Insektizide und Pestizide tabu sind.


Die längsten Tage des Jahres
Die längsten Tage des Jahres

Die Woche vor der Sommersonnenwende, in der der Feuerball weit hinter dem Nachbarhaus spektakulär und farbenfroh versinkt, war ausgefüllt mit Arbeit, aber auch mit Festen und Geselligkeit. Die langen Tage, die schon sommerlich-warm, aber noch nicht hochsommerlich-heiß sind, auf die noch kühle Nächte folgen, gehören zu den Schönsten. 

Wie immer, wenn ich den Sonnenuntergang betrachte, denke ich daran, dass in dieser Richtung, München und mein zweites Zuhause liegt, das derweil von meinem Vater versorgt, in guten Händen ist. Manchmal mischt sich Wehmut, nicht an diesen beiden Orten gleichzeitig sein zu können, in die Freude über die traumhafte Aussicht und ich frage mich, wo ich eigentlich hingehöre. Und auch Vergangenheit und Gegenwart vermischen sich und ich versuche sie in der Imagination zusammenzubringen. Als hätte die Zeit mehrere Dimensionen, eine reale und eine imaginäre, die parallel nebeneinander existieren und sich manchmal durchdringend über die gewohnte Vorstellung der linearen eindimensionalen Zeit hinausgehen. 

Rückblick auf das Beet im Mai
Rückblick auf das Beet im Mai

Beim letzten Aufenthalt Mitte Mai ließ sich das Werden im Beet sehr gut an. Wir konnten viel Spinat ernten, der portionsweise eingefroren wurde. Die Erbsen waren damals, wie man im Hintergrund bei genauerem Hinsehen erkennen kann, in voller Blüte. Die schon im April gepflanzten Tomaten waren kräftig gewachsen und mussten an Pflöcke gebunden werden. Es hatte im Frühling ausreichend geregnet, sodass Gras und Nutzpflanzen sich saftig grün entwickelten. Bei den kühlen Außentemperaturen, die so frisch waren, dass man nachts noch heizen musste, war die Gartenarbeit, die man in langen Hausklamotten verrichten konnte, angenehm und erträglich. Vor einem Jahr hatte ich das Beet bei großer Hitze im Schweiße meines Angesichts gehackt. Dabei konnte ich nachvollziehen, wie hart die Arbeit meiner Vorfahren, der Acker- und Weinbauern, gewesen sein musste. 

Ein Schicksalsschlag in München ließ mich nun erfahren, wie nah Leben und Tod, Werden und Vergehen liegen und dass man manchmal keinen Einfluss darauf hat. Beim Hacken tropften diesmal Tränen der Trauer auf den Boden des Gemüsebeetes, eine neue Erfahrung, schmerzlich und heilsam zugleich. Irgendwie tröstlich war die Vorstellung, dass hier wahrscheinlich schon Generationen von Frauen bekümmert Tränen haben fließen lassen: Über den in Folge des Krieges umgekommenen Sohn, über den zur Zwangsarbeit deportierten Mann, über das an einer damals unheilbaren Krankheit verstorbene Kind. Der Schmerz, der Poren wie Tore in die Geschichte öffnet, lieferte eine Dimension der Verbundenheit über Generationen durch Zeit und Raum.


Der Kreislauf von Werden und Vergehen verdeutlicht anhand der Erbse
Der Kreislauf von Werden und Vergehen verdeutlicht anhand der Erbse

Diesmal fanden wir reife Erbsen vor, viele viele Schoten, die darauf warteten, geöffnet und verarbeitet zu werden. Im Schatten des Maulbeerbaumes war es auch im Juni noch kühl genug, diese kontemplative Tätigkeit zu verrichten. Doch die Arbeit zog sich hin, für die Menge an Erbsen, die man für einen Topf voll Suppe braucht, pflückte ich fast eine Stunde lang. Die aus ihrer schützenden Hülle frühreif herausgeschälten Samenkörner ließ ich in meiner Vorstellung weiterreifen, ließ sie trocknen und säte sie im Geiste wieder aus. 

In den kurz später herausgerissenen verwelkten Pflanzen fand ich noch einige reife Körner, die hoffentlich im nächsten Jahr zu neuem Leben werden, womit sich der Kreislauf von Vergehen und Werden wieder schließt.

Keine Prinzessin auf der Erbse
Keine Prinzessin auf der Erbse

“Wie war zu Köln es doch vordem mit Heinzelmännchen so bequem, denn war man faul, man legte sich, hin auf die Bank und pflegte sich…” Zitat aus der Ballade "Die Heinzelmännchen zu Köln" von August Kopisch.

Das Kinderbuch, das ich einst besaß und dessen Reime ich noch im Kopf habe, handelt davon, wie die kleinen Helfer, die den Menschen lästige Arbeiten abnahmen, durch ausgestreute Erbsen, auf denen sie ausrutschten, verjagt wurden. 


Bei uns in Paulisch ließen sich die Heinzelmännchen gar nicht erst blicken, mühsam mussten wir selbst die Erbsen aus drei Kisten aus den Schoten entfernen. 

Heraus “plicken”meine ich, nannte man die kontemplative doch zeitraubende Tätigkeit, die hauptsächlich von Frauen ausgeführt wurde . Der Geschmack und sicher auch der Vitamin- und Proteinreichtum der frisch gekochten Hülsenfrüchte, die ich als Suppe mit frischen Zwiebeln und Dill aus dem Garten mit verquirltem Ei und einem Schuss Sahne zubereitete, entschädigte jedoch für die Mühe.


Ein Bild, das in die Annalen des Hauses eingehen wird
Ein Bild, das in die Annalen des Hauses eingehen wird

Wir saßen schon oft im Schatten des “Pierapoums”, doch zum ersten Mal parkte dort ein Campingbus, in dem lange erwarteter Besuch darauf bestand, zu übernachten. Meine aus Temeswar stammende Freundin aus Jugendtagen, Karin M., hat die Neugierde auf den Ort, meine Familie und das oft beschriebene Habsburgerhaus, zu uns geführt. Wir fanden uns nach einer Funkstille von 40 Jahren wieder, durch die Texte der Banat-Tour Internetseite. Was diese Astrid Ziegler, die sie anfänglich nicht zuordnen konnte, da sie sie noch als Astrid Roman kannte, da schrieb, kam ihr vertraut vor. Und so kontaktierte sie mich und es stellte sich sofort alte Vertrautheit ein und wir hatten jede Menge Gesprächsstoff. Nicht nur die Skiurlaube in Wolfsberg und die gemeinsamen, durch unsere Eltern initiierten Ausflüge verbinden uns. Es gibt auch in der Gegenwart zahlreiche Berührungspunkte und Interessen, nicht nur durch die gemeinsame Herkunft aus dem Banat.

Vor allem erkennen sich Gleichgesinnte, die für das brennen, was sie tun, nämlich für Sammeln und Weitergeben von Wissen um die Banater Geschichte.


Im “Schneckenhaus” mit Nürnberger Kennzeichen haben Karin und ihr Lebensgefährte Peter alles dabei. Erfreulicherweise auch Werkzeug und Schrauben aller Art und es ist ein Glück, als sich herausstellt, dass Peter, der ein mittelständisches Unternehmen leitet, auch handwerklich geschickt ist. Er baut uns kurzerhand unsere neue Spülmaschine in die Küchenzeile ein. Nach der gemeinsamen Besichtigung des Daches, Karins Neugierde darauf war durch den Blogbeitrag “Schäden am Dach des Habsburgerhauses” geweckt worden, erklärte Peter: “Zum Glück ist das nicht mein Haus, ich würde sonst immer vor Augen haben, was alles zu tun ist…” So gesehen ist man mit einem bewohnbaren Bus für die Ferien tatsächlich besser dran! 


Man darf nie vergessen die Rosen zu bewundern
Man darf nie vergessen die Rosen zu bewundern

“Să nu uităm nicicând să iubim trandafirii, Ei sunt pe acest pământ un simbol a iubirii…” ist der Text eines sehr bekannten rumänischen Tangos aus der Zwischenkriegszeit („Lasst uns nie vergessen, Rosen zu lieben, sie sind auf dieser Erde ein Symbol der Liebe...“)

Und man sollte sich auch Zeit nehmen, diese Königinnen unter den Blumen, die sich heuer besonders schön präsentieren, zu fotografieren.

Noch ist es nicht „Zeit, dass die Rosen sterben“, wie das berühmte Gedicht von Alexandru Macedonski uns so eindringlich vermittelt. Gerade erfreuen sie uns mit üppiger Blüte und Duft. Der Blick in den Hof zeigt, dass zur Sommersonnenwende alles in Saft und Kraft steht, Wiese und Laub sind dunkelgrün, die Linden blühen gerade auf, im Beet sind die Tomatenpflanzen bereit ihre unverwechselbaren Geschmacksbomben schwellen zu lassen.

Mir wird wieder einmal klar, wie gerne ich länger bleiben möchte, dass viel mehr zu tun ist, als man leisten kann. Jeder Aufenthalt kommt mir wie Stückwerk vor, man schafft so wenig und möchte so viel mehr ausprobieren, gestalten, reparieren, lernen.

Könnte man die Vergangenheit spiegeln…
Könnte man die Vergangenheit spiegeln…

Wenn wir in den Sommerferien in Paulisch weilten, war es ein Ritual, dass meine Omi sonntags nachmittags mit mir zum Eis Essen ging. Wir zogen beide Ausgehkleider an und machten uns zu Fuß auf den Weg aus Neupaulisch zur Cofetărie, die an der Straßenkreuzung in Altpaulisch lag. Für mich als Kind schien es ein langer Fußmarsch, der aber gleichzeitig abenteuerlich war, da meine Omi Schleichwege durch die Voli und durch verwilderte Gärten kannte; so weit durfte ich sonst allein nie gehen. Trotz großer Hitze quengelte ich nicht, sondern beobachtete die kleinräumigen mir idyllisch scheinenden Flecken am Weg. Ein Steg zum Beispiel, der über den Kanal der Voli führte und über den wir balancieren mussten oder ein Loch in Zaun eines fremden Gartens durch das wir uns zwängten, das Zirpen der Grillen im gelben sommerlich vertrockneten Gras...all das kam mir so schön und mit der Zeit so vertraut vor. Ich war voller Vorfreude auf das Eis, das es in einer Packung gab, mit Vanille-, Erdbeer- oder Schokoladengeschmack, was für ein Aroma es genau am jeweiligen Sonntag war, blieb eine Überraschung. Fast so sehr wie auf das Eis freute ich mich auf das Löffelchen, das man dazu bekam, das aus Plastik in blau, gelb, rot, grün oder orange gab. Welche Farbe es sein würde, blieb auch der zufälligen Auswahl der Verkäuferin überlassen. Nie hätte ich mich getraut ein bestimmtes Löffelchen zu verlangen und die gestressten Verkäuferinnen kamen auch nicht auf die Idee sich die Muße zu nehmen, ein Kind nach seiner Vorliebe zu fragen. Aber das war alles eins, Hauptsache es gab ein glattes, glänzendes farbiges Löffelchen dazu. Zu Hause hatte ich schon eine ganze Sammlung davon. Das war nämlich die nächste Freude: Die Löffel wurden nicht weggeworfen, sondern aufbewahrt. Man sah sie als Kind oft einfach an oder reihte sie auf oder man spielte im Sandhaufen unter dem Apfelbaum im Hof selbst Eisverkauf in der "Cofetărie".

Mit solchen Gedanken im Kopf spazierte ich also mit meiner Großmutter einmal durchs Dorf, an den kleinen "magazine" der Hauptstraße entlang, deren bescheidene Schaufenster ich bewunderte. Im Schreibwarenladen "Papetărie"  gab es manchmal duftende chinesische Radiergummis oder Keramik-Spitzer in Tierform, damals der letzte Schrei bei den Grundschulkindern. Die Läden hatten zu, aber ich konnte schon mal Wünsche äußern in der Hoffnung sie würden unter der Woche bei einem erneuten Spaziergang erhört. Auch die Cooperativa mit den Kleidern und Schuhen lag am Weg. Ich wünschte mir so sehr die roten Schläppchen mit weißen Tupfen aus glänzendem Kunstleder, die die anderen Mädel im Dorf trugen. Sie waren in meinen Augen wunderschön und so viel praktischer als die aus Temeswar mitgebrachten Sandalen fand ich und verstand gar nicht warum meine Omi das nicht so sah. 

Endlich im Zentrum angekommen hieß es, sich in die Schlange zu stellen für das Eis, denn für andere war es auch das Highlight des Wochenendes. Manchmal kam es vor, dass es die begehrte Süßigkeit nicht mehr gab, wenn man dran kam, deswegen waren wir meist schon bei der Eröffnung der "Kondi" dort, um unter den ersten zu sein. An ganz schwarzen Sonntagen hieß es "Nu am primit marfă..." Dann ging ich mit gesenktem Haupt schweigsam neben meiner Großmutter zurück, der es um Leid tat, doch was sollte sie tun? Es gab keine weitere Möglichkeit, kein anderes Geschäft mit Eis, es hieß dann eine Woche warten. Die Enkelin hat eine Lektion fürs Leben gelernt: Kopf hoch, das Leben geht weiter und beim nächsten Mal haben wir mehr Glück...!


Ein unbedeutendes Erlebnis aus der  Vergangenheit, doch ein Beispiel für den Erwerb von Resilienz, die ich vielleicht weitergeben kann

2 Comments


joymusic1
vor 7 Tagen

Immer wieder nostalgisch, Danke Astrid…🥰🎸

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Guest
vor 7 Tagen
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Ich danke dir, dass du mirgehst auf nostalgischen und neuen Wegen...

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