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Nachts ist eine Kerze heller als die Sonne


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“Gentleness, sobriety are rare in this society

At night a candle’s brighter than the sun.” (Sanftmut und Nüchternheit sind in dieser Gesellschaft selten

Nachts ist eine Kerze heller als die Sonne.)

Aus “Englishman in New York” von Sting.


Schön, dass es das noch gibt. Dass man monatelang voller Vorfreude auf etwas Gedrucktes wartet und es dann per Post angeliefert wird, man es schließlich in Händen halten darf, hineinblättern und Seite für Seite zu Gemüte führen kann. So ging es mir mit dem neuesten Exemplar der “Spiegelungen”, der Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, in dessen Feuilletonteil mein Essay “Nachts ist eine Kerze heller als die Sonne - Menschenwelt, Märchenwald, Opa-Oma-Land in der Ceauşescu-Diktatur und darüber hinaus” zu finden ist. 

Die Idee zu dem Text entstand, nachdem ich die Online-Ausstellung des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS) an der LMU  „Graue Zeiten – Bunte Seiten. Deutschsprachige Kinder- und Jugendbücher im sozialistischen Rumänien“ in der Deutschen Digitalen Bibliothek (www.deutsche-digitale-bibliothek.de) besucht hatte und dort viele meiner heißgeliebten Kinderbücher von einst entdeckt hatte. Besonders das Werk “Nik und Onkel Jonathan” von Erika Hübner-Barth hatte mich vor nunmehr einem halben Jahrhundert so begeistert, dass der Anblick des Covers selbst nach so langer Zeit noch elektrisierend wirkte. Das Buch ist untrennbar mit der letzten Zeit vor meiner Auswanderung verbunden. Wir Kinder der 70-er und 80er Jahre, warteten mit unseren Eltern oft schon auf gepackten Koffern auf die Möglichkeit zur Ausreise. Oft, so auch in meinem Fall, fehlte schon ein Elternteil, der meist illegal vorausgegangen war. Es war ein Abschied auf Raten, der zur Entfremdung vom gesamten sozialen Umfeld führte. 


Auf Anregung von Dr. Enikő Dácz, Ressortleitung Literatur, entstand ein Artikel, der sowohl die Lesesituation der Kinder und Jugendlichen von damals als auch dieses wunderbare Buch genauer ins Visier nimmt. Bei Nik und Onkel Jonathan handelt es sich inzwischen um eine absolute Buchrarität, die trotz intensiver Suche antiquarisch nicht mehr zu finden ist. Für den Artikel durfte ich das Buch aus der Institutsbibliothek ausleihen. So brach ich an einem frostigen Januarmorgen auf, um das Buch, das ich jahrzehntelang vermisst hatte, in Empfang zu nehmen. Der Bibliothekarin gestand ich meine Aufregung, die sich anfühlte, als würde ich den Schlüssel für eine andere Welt wiederbekommen und wir verstanden uns durch wenige Worte. Der Bedeutung des Augenblicks gewahr, wünschte sie, als sie das Buch übergab: “Gute Reise”.


Um die damaligen Leseverhältnisse zumindest ansatzweise nachzuvollziehen, begab ich mich für die Zeit des Lesens und des Reflektierens in unser Gartenhäuschen ohne Internet, Handy, Laptop, vor allem ohne die Möglichkeit durch Filme abgelenkt zu werden. Keine Störsignale sollten in die Welten, die sich mir im Buch erneut  auftaten hineinfunken. Neben mir lag lediglich ein großes leeres Heft, in dem ich vorhatte, Seite für Seite handschriftlich zu füllen. Lesend und auf dem Papier schreibend, kam ich mir vor wie damals, als ich als Schülerin der 5. Klasse die Ferienlektüre analysierte. Die ineinander geschachtelten Welten des Buches, die der Menschen, den Märchenwald und das darin enthaltene Opa-Oma-Land” betrat ich mit der (Lese-)Erfahrung meines “Jetzt-Ichs” für das das lesende Kind jedoch immer noch eine wichtigen Raum einnimmt. Ich traf also den Jungen Nik wieder, sein geflügeltes Zauberrad Onkel Jonathan und begab mich mit ihnen in wilde und lebensgefährliche Abenteuer, die schließlich in einem Etappensieg der “Guten” enden. Doch mit nostalgischer Erinnerung an die “grauen Zeiten” endete die Leseerfahrung keineswegs. Das Buch mit den ineinander geschachtelten Welten ist keines, das an das “Damals”, die Vergangenheit in der Ceauşescu-Diktatur, gebunden ist. Seine sprachliche Schönheit und der überbordend-phantastische Inhalt gewährleisten, dass der Lesegenuss heute dem von damals in keiner Weise nachsteht. “Nik und Onkel Jonathan” hat von seiner Faszination nichts eingebüßt. In einer Zeit, in der die meisten Kinder vor flimmernden Bildschirmen sitzen statt zu lesen, bietet es wieder das an, was Kinder brauchen. Es nimmt die jungen Leser ins Reich der Fantasie und Vorstellungskraft mit. Der (vor-)lesende Erwachsene hingegen ist durch die Science-Fiction-Elemente versucht mit dem Kind zu besprechen, welche der Voraussagen Realität geworden sein könnten. So könnte man im Kapitel über das utopische “Übermorgen” an Internet und Künstliche Intelligenz, denken, wodurch die in den 70er Jahren niedergeschriebenen Fantasien geradezu prophetisch wären. Eine Fortsetzung wäre durch die offenen Erzählstränge am Schluss durchaus denkbar…


Vorläufig freue ich mich über dieses Heft 1.25 der Spiegelungen, das sowohl hochkarätige wissenschaftliche Aufsätze als auch eine erlesene Auswahl von Prosa- und Lyrikbeiträgen erhält. Die Veröffentlichung darin fühlt sich an wie ein eigener Etappensieg, für den ich mich bei der Redaktion ganz herzlich für die gute Zusammenarbeit bedanken möchte.

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