top of page

Und es wurde Abend und es wurde Morgen

Autorenbild: Astrid ZieglerAstrid Ziegler

Wo sich eine Tür schließt, öffnet sich eine Neue…
Wo sich eine Tür schließt, öffnet sich eine Neue…

Über acht Stufen gelangte ich letzte Woche sieben Tage lang jeden Tag in den Hof, wo mich Arbeit erwartete, aber auch Glück, pures Glück. Mir sind die Treppen aus uraltem Eichenholz seit Langem vertraut, schon als Kind sprang ich sie einzeln hinunter. Wie viele mögen wohl die Treppe hinaufgeschritten sein, um in den Laubengang zu gelangen, der dem Haus vorgebaut ist. Auch wenn die Tatsache, dass es acht Schwellen sind, wohl eher einer nüchternen mathematischen Berechnung des Höhenunterschieds geschuldet ist, als irgendeiner Zahlenmystik, finde ich es reizvoll mir vorzustellen, dass die Acht sich in eine dem Anwesen eigene Symbolik und Bildlichkeit einfügt. Ich ordne sie einer Metaphorik zu, die dem Zyklischen verhaftet ist. 


Ein Vorbau mit Kurven
Ein Vorbau mit Kurven

Jeweils zwei Bögen des Laubenganges sehen wie eine halbierte Acht aus, im Ensemble bilden sie Kurven, die feminin wirken und den Laubengang im wahrsten Sinn des Wortes wie eine Brüstung wirken lassen, eine dem Haus vorgelagerte “Oberweite”, einen steinernen “Bogenbusen”. 

Seit ich mich erinnern kann, war das Haus in Paulisch fest in der Hand starker Frauen. Elisabeth Reingruber, geborene Düran, die Schwester meiner Großmutter, war die letzte Bäuerin des Hofes. Noch in die Alltagstracht der banatschwäbischen Frauen gekleidet, mit Hemd, Rock und Firta (Schürze), über die ergrauten geflochtenen Haare ein dunkles Kopftuch gebunden, habe ich sie in Erinnerung wie sie über Fauna und Flora, die Tiere des Hofes und die Pflanzen des Gartens wachte. Mit ihr ging eine Ära zu Ende. 

Meine Großmutter Anna kam nach dem Umzug nach Temeswar nur noch in den Ferien, half mit wo es nötig war, genoss das Landleben aber schon wie eine “Madame Bäurin". Bei meiner Cousine Resi Reingruber, der letzten Verwandten, die dort ein paar Jahre lebte, war ich vor der Revolution in einer bedrückenden Zeit zu Gast.


Vorfrühling im Garten
Vorfrühling im Garten

Meine Bemühungen heute kommen mir wie Stückwerk vor, doch sind sie selbst im Fragmentarischen dem Zyklischen verhaftet. 

In regelmäßigen Abständen komme ich nach Paulisch, um das sich stetig verändernde Leben, die Beständigkeit der Natur im Wechsel des Wetters und der zyklischen Erneuerung der Tages- und Jahreszeit auf den Grund zu gehen. “Es war eine Mutter, die hatte vier Kinder, den Frühling, den Sommer, den Herbst und den Winter", sangen wir in der Schule. “Der Frühling bringt Blumen, der Sommer bringt Klee, der Herbst bringt die Trauben, der Winter den Schnee”. 


Mit dem kalendarischen Frühlingsbeginn trafen Hans und ich in Paulisch ein. Neben Recherchen zu Burgen und Weinbau, wollte ich vor allem die jahreszeitlich anfallenden Arbeiten in Hof und Garten erledigen. 

Schon am ersten Morgen beobachtete ich den Sonnenaufgang hinter dem Berg. Im Lauf des Tages verfolgte ich, wie das strahlende Gestirn über den Hof wanderte und hinter dem Garten im Westen rötlich und spektakulär unterging. Das war die Zeitspanne, die es auszufüllen galt, bevor man sich nach getaner Arbeit erschöpft, aber glücklich zur Ruhe legen konnte, um am nächsten Tag wieder ans Werk zu gehen.

Und es wurde Abend und es wurde Morgen… sieben Tage konnte ich bleiben und jeden Tag etwas im Garten gestalten. In diesen sieben Tagen achtete ich auf den Sonnenstand, der mir Auskunft darüber gab, was die Stunde schlug. Morgens die Tiere versorgen, vormittags die vorgenommenen Arbeiten erledigen, in der schon stechenden Mittagssonne besser ins Haus. Wie in der Steinzeit, dachte ich, als am anderen Ende Europas Monolithe in Stonehenge als Kalender dienten und den Menschen zeigten, was mit der Erde zu tun war. 


Im Märzen die Bauern…
Im Märzen die Bauern…

Die Nachbarn Anamaria und Picu hatten das zu bepflanzende Beet schon vorbereitet. Frisch umgegraben lag es wie nackt da und wartete darauf, bearbeitet und mit neuen Samen bestückt zu werden. Doch die durch Umgraben entstandenen Erdbrocken waren mit der Zeit hart und trocken geworden. An Aussaat war noch nicht zu denken, erst musste der Boden nochmal entsprechend bereitet werden.

Während ich auf das Erdreich einhackte, um die großen Schollen zu zerkleinern und krümelig zu machen, ging mir ein altes Lied durch den Kopf. Wie tief diese simplen eingängigen Melodien mit den vor so langer Zeit gelernten Liedtexten ins Gedächtnis eingegraben sind. Während ich mich also mit Hacke und Rechen plagte, summte ich: “Die Bäurin, die Mägde, sie dürfen nicht ruh’n, sie haben im Haus und im Garten zu tun, sie graben und rechen und singen ein Lied…” Wie leicht und beschwingt das doch klingt und wie schweißtreibend und anstrengend es in Wirklichkeit ist. Die Brocken, die sich nicht mehr zerkleinern ließen, häufelten wir zwischen den Reihen auf. Vielleicht würden sie als Barriere gegen das Unkraut helfen, schließlich sind wir immer noch am Experimentieren. Hans improvisierte aus dem Stiel eines Wischmops eine Richtschnur, die Pflanzen sollten schließlich ordentlich in Reih und Glied stehen. 

Dann wurden mit der Hacke Furchen gezogen, in die die Samen gestreut wurden. “Uşor ca picăturile de ploaie” (leicht wie die Regentropfen) stellte ich mir das gleichmäßige Prasseln von Niederschlag vor, während die Körner durch meine Finger glitten. Ein weiterer Zyklus von Werden und Wachsen, von Ernten und Vergehen hatte begonnen.


Ein Formschnitt für den Pflaumenbaum
Ein Formschnitt für den Pflaumenbaum

Eine andere wichtige Tätigkeit im Garten war zu dieser Jahreszeit der Baumschnitt, der zwar weniger anstrengend war, doch Geschicklichkeit, Beweglichkeit und auch Schwindelfreiheit erforderte. Im Eck neben dem Regenwasserbecken ist in den letzten Jahren ein Pflaumenbäumchen wild aufgegangen. Wahrscheinlich fiel einer der für Marmelade oder Kompott entsteinen Zwetschgenkerne auf fruchtbaren Boden vor dem Haus. So heißt es bei uns inzwischen ganz im Brecht'schen Sinn: 

Der ist klein, man glaubt es kaum. …”  

Der robuste Proletarier unter den Obstbäumen kämpfte sich auch bei uns ans Licht und erwies sich durch schneeweiße Blüte und tiefblaue Früchte sowohl dekorativ als auch nützlich.


So lasst uns denn ein Kirschbäumchen pflanzen
So lasst uns denn ein Kirschbäumchen pflanzen

Von edlerer Herkunft als der wildwüchsige Genosse am Regenwasserbecken ist das Obstbäumchen, das in Arad am Markt erworben wurde. “Hast du schon mal einen Baum gepflanzt?” fragte ich Hans. Er verneinte und gestand, dass er nach seiner Aussiedlung erleichtert gewesen war, alles, was mit Haus und Garten zu tun hatte, hinter sich zu lassen. Eigentlich war er im Arader Land auf der Suche nach Burgruinen. Doch er sprang ein, wenn ich Hilfe benötigte, und ich stellte fest, dass er über großes Geschick, was das “Garteln” betrifft, verfügt.

Wir pflanzten zwar kein Apfelbäumchen, wie der Titel des Leitbuchs der Umweltbewegung der 80er Jahre lautete, aber ein Kirschbäumchen. In einer Zeit, in der man wieder denkt: “Endzeit…es steht nicht gut um uns.” In einer Zeit in der die Gefahr eines Krieges und der Umweltzerstörung wieder virulent sind, in der man voller Sorge und Ohnmacht auf die Weltgeschichte blickt, ist es ein Hoffnungsschimmer wieder einen Kirschbaum im Hof zu haben.



Schon im März werden die Erdbeeren gegossen
Schon im März werden die Erdbeeren gegossen

Früher hieß es “Ohne Märzwind und Aprilsun bleibscht weiß wie a Nun”. Der Wind hatte am Ende der Woche aufgehört und der hereinbrechende Frühling drehte so richtig auf. Es wurde fast sommerwarm mit Temperaturen über 20 Grad, Wind und Wärme trockneten den Boden aus. Wir mieden die Mittagssonne mit ihrer starken Strahlung. Schon der Winter war in der Region mild gewesen, es hatte kaum Niederschläge gegeben, keinen Schnee. Die Älteren, die sich noch an Schlittenpartien am Berg, Schneeballschlachten, Schneemannbauen und Schneeschaufeln erinnern, können es kaum glauben, dass die weiße Pracht in den letzten Jahren auf sich warten ließ. Der Winter bringt eben leider nicht mehr den Schnee. Die Leute im Dorf, die ein Stück Boden bepflanzen, blicken mit Sorge auf die staubtrockene Erde, die in den kalten Monaten keine Feuchtigkeit gespeichert hat. 

Ich entschloss mich, die Erdbeeren zu gießen, die als einzige aus dem Vegetationszyklus des Vorjahres übrig waren. Es ist genau ein Jahr her, dass wir ein Stück der Grasnarbe im Garten wieder aufgerissen und mit dem “Experiment Gemüsebeet” begonnen haben. Flankierend entstand eine Reihe von Beiträgen, quasi ein literarischer Gartenzyklus, in den neben dem handwerklichen auch damit verbundene philosophische Betrachtungen eingeflossen sind.


Cycle und Bizikl
Cycle und Bizikl

Noch ein Kreis schließt sich in diesem Frühling: Ich habe wieder ein Fahrrad.


Vor kurzem schrieb ich in München einen Artikel über das Lieblingsbuch meiner Kindheit mit dem Titel “Nik und Onkel Jonathan”. Darin geht es um einen Jungen, der durch die Zauberkraft eines Wichtels mit einem geflügelten Fahrrad ins Märchenland reist und dort in Zeit und Raum umherfliegt . 

Als Kind drehte ich mit meinem “Bizikl” hier in Paulisch meine Touren in Form einer Acht auf dem damals noch gesandeten Kirchweihplatz vor dem Haus und träumte von diesem Flügelrad.


Im alten Weinkeller befand sich ein seit langem abgestelltes und fast vergessenes Fahrrad. Mit einem neue Reifen und einigen kundigen Handgriffen erweckte Hans es zu neuem Leben. So kam ich mit dem alten Alurad aus den 90-er Jahren zu meinem eigenen “Onkel Jonathan”. Nach getaner Arbeit schwang ich mich am siebten Tag in den Sattel und trat so heftig in die Pedale, dass ich das Gefühl hatte, abzuheben. Und Zufall oder Zahlenmystik: Die Route durchs Dorf hatte auch die Form einer Acht.




6 Comments


Guest
vor 6 Tagen

Es ist für mich jedes Mal ein Genuss, Deine Blogs zu lesen. Du bedienst Dich einer solch gepflegten, eloquenten Sprache, dass man beim Lesen den Eindruck bekommt, einen Film zu sehen. Und ebenso ergötzlich finde ich das Verwenden von Wörtern, Wendungen und alten Weisheiten aus unserer schwowischen Weltsproch. Meine Anerkennung und Bewunderung hast Du. Gruss, Manfred Jakobi

Edited
Like
Guest
vor 5 Tagen
Replying to

Interessant die Herkunft des Wortes von "Führtuch"! Ich hätte von meinem Sprachgefühl eher auf "VORtuch getippt, da man die Schürze ja vor den Rock bindet...Auf jeden Fall ein Wort, das in meinem Gedächtnis fest abgespeichert ist...

Like

Guest
vor 6 Tagen

Sehr schön, liebe Astrid. Erinnerungen, Aktuelles, Arbeit, Ruhezeit und philosophische Gedanken, alles zu einem schönen literarischen Gewebe verwoben. Und du hast recht mit deiner Nachricht an mich bezüglich des Gedichtes "Abendsonne". Die Natur gibt unsere Gedanken vor, was sich auch in deinem Beitrag bestätigt.

Lieben Gruß

Edith

Like
Guest
vor 6 Tagen
Replying to

Liebe Edith, freut mich, dass Du meinen Text gelesen hast. Dein hübsches Gedicht bringt es mit wenigen Worten auf den Punkt, das Privileg der Lyrik...

Wünsche dir weiterhin viele beglückende Naturbeobachtungen!


Like
bottom of page