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Love you Lenau - mit Nikolaus Lenau auf dem fliegenden Teppich

Aktualisiert: 1. Okt.

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Es gibt einen Dichter, dessen Name wie kein anderer das Bewusstsein der Banater Deutschen anspricht und ihre Gedanken in die Heimat fliegen lässt, wo man “einst so glücklich war”. In Nikolaus Lenaus in Banater Kreisen oft zitierten Gedicht “Einst und Jetzt” herrscht wie in seinem anderen umfangreichen lyrischen Werk Melancholie und Weltschmerz vor:

Möchte wieder in die Gegend,

Wo ich einst so selig war,

Wo ich lebte, wo ich träumte

Meiner Jugend schönstes Jahr!




Der heute noch verehrte Dichter wurde am 13. August 1802 in Csatád, dem heutigen Lenauheim im Banat, das damals zu Ungarn gehörte, geboren, weil sein Vater als österreichischer Beamter eine Anstellung in der Provinz im Südosten des Habsburgerreichs gefunden hatte. Und obwohl der kleine Niki schon als Baby die Banater Heide verließ und sein Leben größtenteils in Dichterkreisen zwischen Wien und Stuttgart verbrachte, blieben ihm die Banater treu.

“Lee-nau”, schon wenn man den Namen ausspricht klingt es offen, weich, fast weiblich, gleichzeitig so kurz und eingängig, dass jedes Kind es sich merken kann so dass man Nikolaus Franz Niembsch Edler von Strehlenau noch posthum zu diesem Pseudonym gratulieren möchte, das sich selbst 175 Jahre nach dem Tod des Poeten wie ein Markenname für Lyrik eignet, die, obwohl er die Region nie wieder besucht hat, immer noch mit dem Banat in Verbindung gebracht wird. 


So wird vom 31. Oktober bis zum 3. November in Temeswar eine “Internationale Nikolaus Lenau Gedenktagung anlässlich seines 175. Todestages” stattfinden, zu der ich mit dem Vortrag “Love you Lenau: Zur Amerikareise Nikolaus Lenaus im Spiegel seiner Briefe und Gedichte” einen Beitrag leisten werde. Mein Titel wirkt durch den Anglizismus am Anfang vielleicht provokant, zu verlockend schien mir die Alliteration. Warum keine englischen Worte, wenn Lenau selbst englisch gelernt hat und auf seinem Trip in die Neue Welt auch benutzte. 

Ich wählte die Reise Lenaus nach Amerika, dieses Abenteuer, das sicher das größte im Leben des Dichters war, da es sich besonders dazu eignet, dem Dichter fern der Heimat durch diese wortwörtliche Erweiterung des Horizonts auf die Spur zu kommen. 


Nikolaus Lenau, Ölgemälde von Friedrich Amerling
Nikolaus Lenau, Ölgemälde von Friedrich Amerling

Nikolaus Niembsch Edler von Strehlenau, ein österreichischer Adeliger, der sich gerne zum ungarischen Baron stilisierte, der Salonlöwe, Müßiggänger, ewiger Student, begabter Musiker, treuer Freund, unglücklich Liebender, kritischer Kopf doch vor allem ein Künstler war, der sich kompromisslos den Musen und der Dichtkunst zur Verfügung stellte (verschrieb) und jeden Beruf zum Broterwerb bewusst ausschlug, sollte sich nach wochenlanger Odyssee in Glacehandschuhen Holz hackend vor einem Blockhaus in Crawford County (Ohio) wiederfinden. 


Vermutlich träumte schon der jugendliche Niki in der Zeit als Privatschüler in Tokaj, wohin es ihn mit Mutter, Schwestern und Stiefvater verschlagen hatte, von Amerika. Sein junger Hauslehrer Jószef Kövesdy, der im Lauf der Zeit zum Mentor und Freund wurde, begeisterte ihn sowohl für ein Thema das später in Lenaus Dichtungen immer wieder auftauchen sollte, das Streben nach politischer Freiheit und Unabhängigkeit, als auch für die Idee nach Amerika zu reisen. 


Nach umfassenden philosophischen, juristischen und medizinischen Studien betrat der aufstrebende, doch unstet getriebene inzwischen knapp 30-jährige Poet das Segelschiff “Baron von der Kapellen", um von Amsterdam aus in die Neue Welt über zu setzen. Als Motiv nennt er wiederholt im Briefwechsel, dass er seine “Fantasie in die Schule -in die nordamerikanischen Urwälder- schicken, den Niagara… rauschen hören” will. Er meinte, das gehöre notwendig zu seiner Ausbildung. Außer der erhofften inspirierenden Wirkung auf seine Naturpoesie spielte wohl eine große Rolle, dass Lenau, der zu der Zeit seiner Ausreise im bürgerlichen Leben der alten Welt nicht Fuß fassen konnte oder wollte. Der Dichter verließ den Stuttgarter Freundeskreis um den Literaten Gustav Schwab, obwohl er durch die Veröffentlichung seines ersten Gedichtbandes bei Cotta gerade als Dichter der Melancholie den Grundstein zu literarischem Erfolg gelegt hatte. Er schlug sowohl den Beruf des Arztes aus als auch andere Posten, mit denen er sesshaft hätte werden können und lehnte die gute Partie mit Lotte Gmelin, Frau Schwabs Nichte, ab. Weder Angehörige, noch Freunde, nicht die verehrte Lotte oder Aussicht auf eine bürgerliche Existenz konnten ihn halten.

Die Absicht, in den Vereinigten Staaten Land zu kaufen und die Hoffnung wohlhabend zu werden, ist eine der Antriebsfedern für den Aufenthalt, den Lenau ursprünglich für längere Zeit geplant hatte, sein Wissensdrang und seine Abenteuerlust ein weiterer Impuls.


Schon vor der Abreise verfasste er ein Gedicht, in dem er in bewusst eingenommenem kritischen Ton die Missstände in seinem Vaterland anprangert, mangelnde Freiheit als Auswanderungsgrund nennt und gegen beengende deutsche Verhältnisse Position bezieht. Es ist das Werk, das über hundert Jahre später für die Banater Schwaben viel Identifikationspotential bieten sollte, indem sie den Begriff Vaterland auf die kommunistische Diktatur Rumäniens übertrugen und in der neuen, freien Welt die Bundesrepublik Deutschland sahen.


Abschied

Lied eines Auswandernden


Sei mir zum letztenmal gegrüßt,

Mein Vaterland, das, feige dumm,

Die Ferse dem Despoten küßt

Und seinem Wink gehorchet stumm.




Doch schon auf der Überfahrt auf dem Atlantik zeigte sich, dass Lenau das lyrisches Ich des Auswanderers verschiedene Rollen einnehmen lassen konnte. Nimmt es in “Abschied” noch eine entschlossen kritisierende Position dem Vaterland gegenüber ein, so gewinnt in dem Gedicht “An mein Vaterland” die Sehnsucht nach der Heimat die Oberhand, aus den Versen Lenaus spricht Heimweh, noch bevor der Auswanderungswillige den Fuß in die so vielversprechende neue Welt gesetzt hat.


An mein Vaterland

Wie fern, wie fern, o Vaterland,

Bist du mir nun zurück!

Dein liebes Angesicht verschwand

Mir, wie mein Jugendglück! 




Ohne meinen Vortrag vorwegzunehmen kann hier schon verraten werden, dass Lenaus hohe Erwartungen an die neue Welt scheiterten, die Amerikareise aber trotzdem als Schlüsselerlebnis im Werk des Dichters gesehen werden kann. Der europäische Intellektuelle Lenau verlor in den sechs Monaten, die er in Amerika zubrachte, zwar die romantische Hoffnung auf ein Leben in absoluter Freiheit, die zu der Zeit viele Deutsche mit ihm teilten und scheiterte an der praktisch ausgerichteten Gesellschaft der Vereinigten Staaten.


Doch brachte der Aufenthalt in den “verschweinten Staaten”, so eine der vielen abfälligen Bemerkungen aus seinen Briefen über Land und Leute, einige Werke mit, die seine poetische Haltung zwischen Naturbegeisterung, Streben nach Freiheit und schmerzvoller Desillusionierung bestätigten und sogar vertieften. Zu seinem Personal der gesellschaftlich Verfemten, das sich vor der Reise aus Armen, Außenseitern, Zigeunern (Roma), Bettlern zusammensetzte, gesellten sich während des Amerikaaufenthaltes die indigenen Ureinwohner Nordamerikas. Sie beschreibt Lenau einerseits als Opfer der Kolonisation des Kontinents durch die weißen Siedle, verleiht ihnen aber in seiner Dichtung Würde und bringt ihnen Mitgefühl entgegen.


Nach der lang ersehnten glücklichen Rückkehr nach Deutschland stellte Lenau erfreut fest, dass er durch seine Veröffentlichungen vor der Abreise, die positive Beachtung erfahren hatte und in Abwesenheit als Dichter des Weltschmerzes berühmt geworden war. 

“Ich muss lachen darüber” schrieb Lenau wieder in Stuttgart in einem seiner Briefe, “dass ich habe ins Ausland müssen um Werth und Bedeutung zu Hause zu bekommen. Es geht mit den Dichtern in Österreich wie in Bremen mit Cigarren. Die in Bremen gemachten Cigarren werden nach Amerika geschickt, dort bekommen sie die ausländische Signatur und wandern dann wieder heim. Alles wundert sich über den charmanten Geruch, den sie jetzt haben, während sie früher keinem Teufel schmecken wollten.” 


Der Vergleich seiner Dichtkunst mit Tabakwaren zeigt, dass der Poet, der es so meisterhaft verstand, seinen Gedichten den so typischen “traurigen Schmelz” zu verleihen, durchaus Humor hatte. Mit seinem in Amerika durch Entbehrungen geschärften Ton sollte er auch künftig den Zeitgeschmack treffen, seine Gedichte erlebten zwischen 1838 und 1844 sieben Auflagen. Schon die Auflagenhöhe der zweiten Auflage der Gedichte bei Cotta betrug 1200 Exemplare, sein Honorar 1000 Gulden. So ist “Love you Lenau", die Alliteration im Titel meines Vortrags durchaus treffend gewählt. Vor allem nach seiner Rückkehr kann man auch auf deutsch mit Fug und Recht behaupten: die Leute liebten Lenau. 


Exkurs: Doch wie steht es heute um diese Vorliebe für Lenau, den spätromantischen Dichter des Weltschmerzes? In Temeswar im Banat, das er seinerzeit nie wiedergesehen hat, ist ein renommiertes Lyzeum nach ihm benannt, in Deutschland hat ihn keine Schule auf dem Lehrplan. Ich erfuhr von Nikolaus Lenau, dem im Banat geborenen Poeten, der wie kaum ein anderer seiner Zeit Außenseiter zu Helden gemacht, ihnen die Tiefe und Würde verliehen hat noch aus meiner Schulzeit in Temeswar. In der vierten Klasse machten wir einen Ausflug  zu seinem Denkmal in Lenauheim, wo er von Musen umgeben der Tätigkeit nachgeht, der er sein Leben verschrieben und seine ganze Kraft gewidmet hat, dem Dichten. 

Ich stelle mir vor, wie ich mit Nikolaus Lenau, dem heute fast Vergessenen, dem Dichter mit dem kulturkritischen, empathischen Ton auf dem Fliegenden Teppich Platz nehme. Während wir fast schwerelos vom Einst ins Jetzt gleiten, frage ich: Lenau, mein Freund, wofür würdest du heute stehen? Melancholisch hinunter auf die Banater Heide blickend beginnt er zu deklamieren: 


Am Rand der Stadt, wo Beton in grauen Falten liegt,

schläft ein Fremder unter Pappe.

Die Menge geht vorüber,

die Augen blind, die Herzen schwer vom Kaufen.

Und irgendwo,

ein Kind, das kein Zuhause kennt,

trägt seine Welt in einer Tasche,

und niemand sieht das Glimmen in seinen Augen.

Ach, Menschheit!

Noch immer stehst du vor den Schwächsten,

so wie der weiße Strom der Schiffe

vor den Indianern am Strand.

Deine Hände voll Gold,

dein Herz leer!

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