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Das verbotene “Mittagsleita”

oder Don Camillo und Peppone in Paulisch


Im Bild die Neupaulischer Kirche. Rechts das Gebäude, das als deutsche Grundschule diente.

Anton Hack hat als kleiner Bub in Paulisch eine Geschichte erlebt, die an den Filmklassiker Don Camillo und Peppone erinnert. Nur dass sich in der Rolle des Geistlichen Don Camillo der Dorflehrer Wolz befindet während im Paulischer Gemeidehaus auch ein kommunistischer “Peppone” sitzt.


Diese G'schicht hab ich bis heute nur ein, zwei Freunden in Brasilien, wohin es mich als Banater Schwabe inzwischen verschlagen hat, erzählt. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich darüber jemals in Rumänien, Österreich, Deutschland oder sonstwo erzählt habe.

Nach dem Krieg hat unser Dorflehrer, den wir Wolz-Lehrer nannten, an der Bergseite seines Hauses aus zwei Zimmern einen grossen Raum gemacht, indem er die trennende Wand abriss. Das wurde damals die deutsche Schule der Klassen 1 bis 4. Der Wolz-Lehrer und mein Ota, der Hack Michel, waren gute alte Freunde, die viel im Dorf im Stillen bestimmten. Im Jahr 1957 wurde der Jahrgang der Kinder, die 1950 geboren waren und dem ich auch angehöre, als letzte Klasse im Hause vom Wolz-Lehrer eingeschult. Das Gebäude, das zur Schule geworden war, befand sich unmittelbar neben der Neupaulischer katholischen Kirche.

An einem Sonntagabend im Frühjahr 1958 sagte uns mein Ota, dass ab sofort das Mittagsleita aller Kirchen im Dorf verboten sei. Das sei von denen im Gemeindehaus so beschlossen worden. Es betraf die zwei katholischen Kirchen in Alt- und Neupaulisch und die rumänische orthodoxe Kirche. Das war zu einer Zeit wo die Arbeit in den Weingärten und auf dem Feld voll im Gange war.

Nun gut, dachte ich mir, was geht mich das an? Wir haben im Haus ja eine Uhr und der Motor fährt auch noch immer zu seiner Zeit. (Der fahrplanmäßige Eintreffen der elektrischen Bahn, die die Region verband, diente den Einwohnern zur Zeitorientierung)

Doch Hack Michel fragte mich: Und die Leit auf dem Berg und Feld, woher wissen sie, die arbeitende Leit, wann Mittag ist? Springst Du über den Berg und das Feld und rufst, Mittag, Mittag? Das hat bei mir gesessen.

Um den Ernst der Sache zu verstehen muss man dazu sagen, dass zu jener Zeit die wenigsten Leute eine Handuhr hatten. Die Tatsache, dass man der Landbevölkerung mit dem Mittagsleuten das Maß der Zeit genommen hatte, sollte bald Folgen haben.

Am Montag und Dienstag passierte zunächst nichts, kein Mittagsleita. In der Schule gab es die üblichen Neckereien. Wir ärgerten unsere Kolleginnen, die Gräfner Resi, Lieselotte oder Merschbach Käthi, denn wir Buwa hatten begonnen nach ihnen zu gucken und sie nach uns.

Aber am Mittwoch geschah es, und zwar etwa eine halbe Stunde vor Mittag und des Ausglingeles (Läuten zum Schulschluss), das immer kurz vor dem Eintreffen des Mittagsmotors war, weil da traf man sich mit den Leit die mit dem Motor kamen und ging nach Hause.

Der Wolz-Lehrer sagte: Toni steh auf und komm mit. Das war nichts ungewöhnliches, denn des Öfteren wurde ein Schüler aus dem Unterricht beauftragt, etwas für den Lehrer zu erledigen. Das konnten Arbeiten sein wie Hühner füttern oder etwas kaufen gehen. Ich folgte unserem Lehrer, der mit mir über die Veranda in sein Vorzimmer ging, wo wir ungestört sprechen konnten. Unser Dialog war ungefähr so:

Du bist doch Messdiener?

Ja, kleiner Rechts, der grosse Rechts ist der Höllich Hans.

Hast du Angst allein in die Kirich zu gehen?

No, des habe ich schon oft g’macht, bin ja Messdiener.

Des hab ich mir gedenkt.

Anschließend gab er mir folgende detaillierte Anweisung: Hier ist der Schlüssel von der Sakristei der Kirich. Jetzt gehst du, schleichst dich durch die Vale (Abwassergraben) hinter der Schule bis hinter die “Kirich”. Und lass dich von niemand und nichts davon abbringen, auch net vom “Pickgrass” (Kletten). Schau gut, ob jemand im “Kirichhof” ist oder auf der “Stross” (Strasse). Wenn du niemand siehst, sperr die Sakristei auf und geh hinein. Von drinnen steck den Schlüssel ins Schloss und dreh ihn nur einmal um. Hast gehört, nur einmal, nicht zweimal. Danach gehst du so schnell du kannst auf den Chor und leit’st Mittag. Zieh die grosse Glock 3mal x je 11mal, und nicht 3mal x je 33mal wie g’wohnt. Wenn du fertig bist, so schnell du kannst runter vom Chor in die Sakristei. Wenn du niemand siehst, gehst raus, drehst den Schlüssel zweimal “rumm” und kommst durch die “Vale” ganz schnell zurück. Also auf geht´s.

Bin gleich losgerannt und es hat alles geklappt. Bin auf den Chor hinauf gesaust, habe wie angeordnet 3mal x je 11mal die grosse Glocke gezogen, und wieder runter gedonnert, so dass die Eulen im Turm einen Schrecken bekamen und die Mäuse in der Krichich sich versteckten. Meine größte Sorge war, den Schlüssel in der Vale, im grossen Gras, ja nicht zu verlieren. Denn dieser war so gross, dass er in keine meiner Hosentaschen passte.

Zurück in der Schule hat der Wolz-Lehrer mich schon erwartet. Er reinigte meine Kleider vom Pickgrass und sagte: Du musst jetzt und in Zukunft ruhig bleiben und Maul halten. Niemand darf auch etwas von dem was wir gemacht haben erfahren. Niemand in deinem Haus, auch nicht deine Mami, niemand auf der “Stroos” und keiner von deinen Klassenkameraden. Denn wenn die uns erwischen, haben wir nichts zu Lachen.


Nach der Schule schlenderte ich um die Johannis-Kapelle nach Hause. Und was sah ich? Vor dem Steinkreuz, das gegenüber der Kirche steht, befanden sich zwei Milizmänner in Uniform und zwei in Zivil. Der eine in Zivil schrie wie irrsinnig und klopfte sich auf den Oberschenkel. Die anderen ließen die Schimpftirade über sich ergehen.

Liebe Landsleit, dieser Schulheimweg war der Schönste in meinem Leben. Ich war stolz auf mein Mittagleita, durch das ich denen im Gemeindehaus eins ausgewischt hatte. Aber ich dachte mir ruhig bleiben und Maul halten, aber ruhig bleiben und Maul halten!

Zu Hause angekommen, habe ich gleich was angestellt, habe in der Küche irgendwas verschüttet, damit meine Mami sich aufregt und mir nichts anmerkt.

Am Abend kam mein Ota Hack Michel nach Hause mit einem Grinsen bis hinter die Ohren, schaute mich wissend an und nickte leicht mit dem Kopf. Aber auch diesmal ruhig bleiben und Maul halten.


Das ging dann etwa zwei Wochen so weiter. Stand die Miliz vor der Neupaulischer-Kirche, läutete jemand in der rumänischen Kirche. Wurde die rumänische Kirche bewacht, läutete ich die große Glocke der Neupaulischer-Kirich.

Um zu erfahren vor welcher Kirche die Miliz gerade stand, wurden jeden Tag vor 12 Uhr drei rumänische Buben auf Fahrrädern als Späher losgeschickt. Sie fuhren auf ihren alten Biziklen (Fahrräder) durch die Gegend um die Organisatoren des Mittagsleita zu informieren.

Nach zwei Wochen hatte der Spuk ein Ende und die Kirchenglocken durften wieder geläutet werden. Der Widerstand der rumänischen und deutschen Bevölkerung Paulischs war so erfolgreich, dass nie wieder gewagt wurde, das Mittagsläuten zu verbieten.

Blick vom Weinberg auf Neupaulisch

Der Beitrag wurde redaktionell bearbeitet von Astrid Ziegler und Hans Rothgerber

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