Redaktionelle Bemerkung und Einordnung von Astrid Ziegler
Geschichten, die an wahre Begebenheiten angelehnt sind, in denen Wahrheit und Fiktion aber verschränkt sind, finden zur Zeit eine große Leserschaft. Erst Recht, wenn es um Verfolgung, Flucht, und Traumatisierung der Hauptfiguren geht, wie der Roman “Das letzte Versprechen” von Hera Lind zeigt, in dem das Leid eines donauschwäbischen Mädchens im serbischen Teil des Banats in der Nachkriegszeit thematisiert wird.
Thomas Dapper, der auf dem Blog der Banat-Tour schon eine Kurzgeschichte über die Trauben seines Großvaters veröffentlicht hat, in der er sich mit dem Trauma in seiner Familiengeschichte beschäftigt, wählt für seine neue Erzählung im Gegensatz zum durchscheinenden Leid in der ersten Geschichte den Zeitpunkt des größten Glücks seiner Protagonisten. Während man im Zusammenhang mit einem Besuch im ehemaligen Großelternhaus des Enkels Thomas vom großen Leid und dem tragischen Tod seiner Großmutter, verursacht durch die kommunistischen Machthaber in Serbien, erfährt, liefert seine neue Kurzgeschichte einen Versuch sich ohne eine Spur des aufkeimenden Unheils in ihre glücklichen Zeiten hineinzudenken. Ja gar hineinzufühlen müsste man sogar sagen, denn der Autor versucht sich in den Gedanken- und Gefühlskosmos einer jungen Frau und Bäuerin Anfang der 30er Jahre in der Sandwüste, im serbischen Teil des Banats, zu versetzen. Ihre Pflichten und Hoffnungen reflektierend kreisen die Gedanken der jungvermählten Kathi vor allem darum, ihren Angetrauten zu überraschen und zu erfreuen. In dem einfühlsamen und zarten “Prequel” zu den “Trauben des Großvaters” des Filmemachers Dapper spielt auch ein Bad unter freiem Himmel im Hof eine für das junge Glück entscheidende Rolle. Doch lesen sie selbst die sensible Geschichte einer jungen Liebe zu Zeiten der aufziehenden Gewitterwolken des Nazizeit, die nicht nur die Existenz des jungen Paares, sondern der deutschen Minderheit im Banat schließlich zerstören sollte.
Thomas Dapper, Jahrgang 1969, schloss 1994 die Kaskeline-Filmakademie in Berlin ab und leitete den Aufbau einer Casting-Redaktion und im Anschluss die Drehbuchabteilung einer wöchentlichen Serie des WDR. 2012 nahm er mit seinem Film "Wege nach Mramorak", in dem er das Trauma seiner Familie mit historischen Begebenheiten in den Jahren 1941 bis 1948 verbinden konnte, an der historischen Tagung "Vom Verschwinden der deutschsprachigen Minderheit aus Jugoslawien" im österreichischen Bad Radkersburg teil.
Als Referent für Öffentlichkeitsarbeit bei der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen trägt Dapper aktiv dazu bei, das Bewusstsein für die Geschichte und Kultur der deutschen Minderheiten zu schärfen. Er griff eine Idee auf, die im Vertriebenenbereich naheliegend ist: Die gegenseitige Vernetzung, Kommunikation und Nutzung von Synergieeffekten der unterschiedlichen Vertriebenengruppen und -organisationen, die bei allen Unterschieden auch viel Gemeinsames haben. Seine Arbeit ist geprägt von einer tiefen Verbundenheit mit seiner Herkunft und einem starken Engagement für Aufklärung und Versöhnung.
Seit neuestem ist er Mitglied im Bundesvorstand der Donauschwaben.
Kathis Sonntagmorgen
Vor zwei Wochen war ihre Hochzeit und heute hatte ihr Ehemann den Sonntag zu ihrem
Tag gemacht. Er hatte ihr schon gestern, als sie ihre Eltern zum Abendessen zu Gast
hatten, gesagt, sie solle am heutigen Sonntag einfach faul sein, sich in die Sonne legen,
nichts tun. Er werde die Hühner, die Schweine und die Pferde füttern und die Kühe dem
Hirten übergeben. Seine einzige Aufgabe werde heute die Pflege der Weinreben in den
Weingärten sein. Schon vor ihrer Hochzeit mit Peter war Kathi gerne mit ihm in die
Weingärten im Sand gefahren. Der Pferdewagen mit beiden Pferden eingespannt und
lediglich Wasserkannen in Körben dabei, hielten sie gerne bei ihren Eltern zu einem
kleinen Schwatz und um Wasser aus deren Brunnen zu schöpfen, weil dies frischer und
kühler ist als das hier im Haus seiner Eltern, die mit dem jungen Ehepaar unter einem
Dach leben.
Ihre Schwiegereltern sind am Vormittag in der Kirche und danach beim Bürgermeister zum
Geburtstag seines jüngsten Sohnes eingeladen. So wird Kathi heute den ganzen Tag für
sich haben und soll auf Geheiß ihres Mannes nichts tun. Gar nichts. Einfach faul sein, sich
in die Sonne legen, vielleicht ein kühlendes Bad nehmen oder, wenn sie mag, zu ihren
Eltern spazieren und dort auf ihn warten. Ganz wie sie will.
Doch ihr Mann Peter hat ihr eine Porzellanschale mit Rosenblüten und – Blütenblättern auf den kleinen Sekretär in ihrem Schlafzimmer gestellt. Kathi rätselt über die Bedeutung, die sie dieser Geste beimessen soll. Hat er ihr eine Aufgabe gestellt? Soll sie den Duft
genießen, der sich im Haus verbreitet? Oder soll sie sich damit waschen? Etwa im Sinne
einer erotischen Salbung? So ertappt sich Kathi nach zwei arbeits- und besuchsreichen
Wochen dabei, daran zu denken, sich nicht wie in den letzten 14 Nächten von ihrem
Bräutigam verführen zu lassen, sondern heute selbst die Initiative zu ergreifen.
Kathi gehen ihre sonstigen Pflichten durch den Kopf. Sie prüft, welche Tätigkeit sie heute
vergessen haben könnte. Brot hat sie gestern für die ganze Woche gebacken. Vom
Abendessen mit den Eltern und wechselseitigen Schwiegereltern war kalter Braten,
Griesklößchensuppe, Schokoladentorte und sogar noch eine halbe Schüssel gedämpfter
Erbsen und Karotten übrig. Jetzt im Mai überkommt sie die ungewöhnliche Lust auf
Kürbis. Kathi mahnt sich zur Geduld und muss sich über ihre Sehnsucht nach dem Herbst
ein wenig amüsieren.
Also weiter: Den Garten zu gießen? Das wird sie mit ihrem Mann am frühen Abend
gemeinsam tun, jetzt steht die Sonne schon zu hoch. Die Tiere sind am Morgen bereits
gefüttert worden. Der Hauch eines Gefühls der Nutzlosigkeit macht sich in ihrem Gemüt
breit. Aber Kathi erinnert sich an das verschmitzte Lächeln ihres Mannes am Morgen:
„Heute sei bitte die faulste Ehefrau, die ich mir noch nicht einmal vorstellen kann.“ Ja, sie
hat heute gar nichts zu tun. Die Felder sind bestellt. Erdbeeren haben sie gestern
gepflückt und in den Keller gestellt. Kathis Fleiß und ihre kulinarischen Künste werden von
Peters Eltern und Geschwistern gelobt. Und heute hat Kathi nichts zu tun. Sie darf nur
Dinge tun, die ihr Erholung verschaffen. Einfach nur Ruhe. Haus und Hof sind still, vom
Scharren und Gackern der Hühner, dem gefräßigen Grunzen und Schnarchen der
Schweine abgesehen. Peter hat ihr sogar die Hunde abgenommen. Zum Teil laufen sie
seiner Kutsche voraus und wenn sie nicht mehr können, nimmt er sie hoch auf den
Kutschbock. Lumpi und Waldi wurden von ihrem Mann einst erzogen und hören auf die kleinsten Zeichen, die er ihnen gibt. Oft genug wundert Kathi sich über seine leisen
Befehle an die Hunde. Sie hat vorläufig aufgegeben, diese entschlüsseln zu wollen.
Der Duft der Rosen in der großen Porzellanschale erinnert sie an Gedanken, die sie vor
einem Monat noch nicht haben durfte. Jetzt aber fühlt sich Kathi in der Blüte ihrer
ausgehenden Jugend am Übergang zur richtigen Frau. Wie sehr sehnt sich Kathi nach
Kindern mit ihrem Peter? Es werden Kinder der Liebe sein. Ihrer Liebe. Ja, Kathi liebt
ihren Ehemann, sie bewundert ihn und verehrt ihn und seinen Geist. Auch sein Körper übt
eine Magie auf sie aus, die ihr jetzt die Knie weich werden lässt, da sie auf ihr
Hochzeitsfoto schaut. Wie steif sie beide darauf in die Kamera schauen. Dabei sind sie
doch viel fröhlicher und sowieso farbiger als auf dem Bild, das leider von dem bunten
Blumenschmuck und der farbenfrohen Tapete im Hintergrund nur schwarz, weiß und viele
Grautöne zeigt. Aber sie sind ein schönes Hochzeitspaar auf der Aufnahme. Kathi findet
ihren Mann schöner als sich selbst. Das ist selten, aber zu verstecken braucht sie sich nun
wirklich nicht.
So empfindet Kathi an diesem Sonntagvormittag zur Zeit des Gottesdienstes die Pflicht,
sich für die Zweisamkeit mit ihrem Ehemann zu pflegen und besonders schön
herzurichten. Sie muss lachen, ihre Cousine, die Gretl war neulich in Belgrad und hat dort
eingekauft. An der Hochzeit schob sie ihr heimlich ein Päckchen zu und ließ sie wissen, es
in einem ungestörten Moment zu öffnen. „Erst dann!“ hatte Gretl ihr eingeschärft. Dieser
Moment war jetzt gekommen, so Kathis Entschluss. " Wer weiß, was mich erwartet?" Eine Sünde zu dieser Stunde würde sie sich nicht verzeihen können. Zunächst einmal. Aber
waren es nicht längst sündige Gedanken, die ihr Herz erwärmen? Faul sein, sollte sie.
"Pah! Mein Mann lernt mich heute von einer anderen Seite kennen. Er wird mich gleich
nochmal so sehr lieben!"
Kathi steigt auf den Dachboden und wühlt im Sandhaufen nach dem Päckchen ihrer
Cousine. Ganz hinten hatte sie es früh am Morgen nach der Hochzeitsnacht versteckt. So
steigt Kathi an diesem Sonntagmorgen in ihrem Nachthemd auf den Dachboden. Die
Hühner mögen sie gerne für ein verspätetes Nachtgespenst halten. Die Leiter knarzt, und
Kathi fühlt die Ruhe dieser vormittäglichen Einsamkeit. Peter hatte Recht gehabt, sie
werde keine Langeweile empfinden. Nur, dass sie sich nun in ein Abenteuer hineinfühlt,
damit wird auch er nicht gerechnet haben. So mit sich allein, will Kathi von Zeit zu Zeit
wieder sein.
Auch wenn jetzt noch gar nichts geschehen ist, so freut sie sich doch über die Gedanken
und Gefühle, die in ihr herumspringen wie junge Fohlen. Ach, das hatte man sie noch vor
kurzem geheißen. Ein junges Fohlen. Das war sie heute ganz sicher nicht mehr, obwohl
sie sich dieses Gefühl gerade genehmigt.
Endlich hält sie das Päckchen in der Hand und schnürt es auf. Den Sand klopft Kathi ab
und streicht ihn aus den Ritzen unter der Paketschnur. Sie fühlt, unter dem Packpapier ist
es weich. Es müssen Socken, Mieder, Strümpfe oder gar Spitze darin versteckt worden
sein. Die Geheimniskrämerei ihrer Gretl hatte gewiss einen Grund.
Das Packpapier ist dreimal um den Inhalt des Geschenks gewickelt. Einen langen Moment
später – viel zu lang für ihre fohlenhafte Ungeduld – hält Kathi Spitze in ihren Händen.
Weiße Spitze. Sehr gute Handarbeit. Ein Leibchen und ein Höschen. Schön sieht diese
verbotene Unterwäsche aus. Diese sündige Wäsche kommt ihr allerdings heute wie
gerufen. "Wie werde ich wohl meinem Peter darin gefallen?" Kathi packt die Spitze wieder
in das Papier und steigt die Leiter vom Dachboden herab. Die Hühner gackern irgendwie
unverschämt. Kann das Federvieh ihre sündigen Absichten erkennen und sie nun mit
lautem Gackern bestrafen?
"Lächerlich! Ich bin eine verheiratete Frau! Mein Mann und ich freuen uns auf unsere
eigenen Kinder. Die müssen ja auch irgendwoher kommen. Also, werde ich Haare
entfernen, wo sie heute nichts zu suchen haben, mich salben und pflegen und meinen
Mann mit der Spitze unter meinem schönsten Sommerkleidchen willkommen heißen."
Kathi sieht bereits in ihrer Vorstellung, wie die Spitze sich an ihre Oberschenkel
schmiegen wird. Ihre blonden Härchen dort auf der schon sommerlich gebräunten Haut,
werden nachher in der Sonne glänzen. Bis zum späten Abend werden sie und ihr Peter
allein im Haus sein und er hatte sie wissen lassen, wie sehr er gerade diese kleinen,
weichen, blonden Härchen an ihren Beinen liebt.
Kathi befüllt die Zinkwanne zur Hälfte mit kaltem Wasser und kocht im großen Kessel auf
dem Herd die andere Hälfte des Wassers heiß. Drei große Kannen und den Zinkeimer
stellt Kathi mit kaltem, frischem Wasser gefüllt neben die Wanne auf den Hof. Dort wird sie
ihren Körper mit einem Bad pflegen. Von Hanna gab es zur Hochzeit zwei Flaschen mit
pflegenden Ölen. Kathi kichert, das Öl in der einen Flasche duftet nach Rosenblüten. Das
passt heute einfach zu gut, auch zu dem rätselhaften Zeichen ihres Ehemanns. Es kommt
Kathi vor, dass der Duft der Rosen im Haus stärker geworden ist. Sie beschließt, auf
weitere Veränderungen künftig mit ihrer feinen Nase zu achten.
Bevor Kathi sich in die Wanne setzt, versperrt sie das Hoftor. Der Hof selbst ist von keiner
Seite einsehbar. So kann sich die junge Ehefrau ungestört ihres Nachthemdes entledigen
und in die Wanne steigen. Wie gut das warme Wasser tut. Es fühlt sich so an, als wäre die
Luft genauso warm wie das Wasser. Kathi betrachtet ihren Körper. Kritisch? Neugierig?
Auf der Suche nach Veränderungen? Wie soll sie als Ehefrau eigentlich aussehen? Ihr
Mann sagt ihr immer, dass er sie liebe und sie sehr schön sei. Aber es ist doch etwas
anderes, sich selbst kritisch zu überprüfen.
Heute hat Kathi keinen Grund, etwas an ihrem makellosen Körper zu kritisieren. Ein
Kratzer hier, eine Schrunde da. Nun, das bringt die Landwirtschaft mit sich. Lehrerin wäre
sie gerne geworden. Diese Möglichkeit will sie ihren künftigen Kindern geben und alles
dafür tun! Das hat sie mit ihrem Mann noch vor der Hochzeit fest vereinbart. Ja, das war
eine unausgesprochene Bedingung, die sie an ihren künftigen Ehemann gestellt hatte.
Am Tag ihrer eigenen Konfirmation war ihr nämlich damals aufgefallen, dass ihre
beruflichen Perspektiven leider sehr begrenzt waren. Ihre Eltern waren am Tag ihrer
Konfirmation am Abend als Hilfskräfte in der Familie von Peters Cousin Adam tätig, weil
dieser seine Konfirmation mit der Großfamilie feierte. Kathi blieb am Abend ihrer
Konfirmation mit den Großeltern allein zuhause. Diese hatten sich sehr um ihre geliebte
Enkeltochter bemüht und versucht, feierliche Stimmung herzustellen. Überhaupt sind ihre
armen Großeltern im Herzen wohlhabend, wenn nicht sogar reich. Kathi ist ihnen dankbar
und ertappt sich beim Gedanken, so nackt in ihrer Zinkwanne, dass sie doch gerne mit
ihrem Peter bei ihren Großeltern vorbeischauen würde. Er hatte ja gesagt, er würde sich
freuen, wenn sie dort auf ihn warten würde. Er hatte aber auch gesagt, sie solle heute faul
sein. Einfach gar nichts tun. Er weiß natürlich, dass er das seiner fleißigen Frau gar nicht
auftragen kann. Sie findet immer eine Beschäftigung.
Tausend Gedanken kreisen heute in ihr über ihre Familie, die alte und die neue, ihre
inneren Abenteuer, in die sie sich seit einigen Jahren gelegentlich "flüchtet". Dazu hat sie
heute keinen Grund mehr. Sie ist wirklich glücklich. Ganz tief in ihrem Herzen fühlt sie sich
geborgen und zufrieden. Da fehlt nichts mehr. Sie hat ihren Peter und leicht zu
bewältigende Aufgaben. Vielleicht lassen sich die gemeinsamen Kinder noch ein wenig Zeit. Zeit, die sie gerne auch mit einer Hochzeitsreise mit ihrem geliebten Ehemann nutzen
würde. Nur wohin? Nach Griechenland, in die Alpen oder nach Italien? Berlin, Paris und
Wien üben auf die junge Banaterin eine ungeheure Faszination aus. Aber ob sie wirklich
einmal reisen werden?
Kathi findet es erstaunlich, welche Abenteuer sich in ihrem Kopf abspielen, während sie
keinerlei Pflichten zu erledigen hat und nichts tut.
Das hatte Peter ja gesagt. Gestern Abend schon und am Morgen hatte er sein Angebot
wiederholt. Ein bisschen merkwürdig kommt Kathi diese Ansage ihres Ehemanns jetzt
doch vor. Verbirgt sich dahinter ein unaussprechlicher Wunsch? Ein Befehl sogar?
Die liebevolle Erinnerung daran, dass sie in den Tagen nach der Hochzeit, bis gestern, nur
gearbeitet hat und nun wirklich ihr Recht auf Erholung wahrnehmen darf? Die Rolle ihres
Ehemanns in ihrem Leben wird Kathi ihm mit der Zeit schon zuweisen. Oder ihre Rolle in
seinem Leben noch finden müssen. Neulich bei ihrer Fahrt in den Sand haben sie junge
Füchse vor ihrem Bau gesehen. Die jungen Füchse haben sich gebalgt und herumgerollt.
Das war sehr süß. Peter hatte ihr gesagt, dass Tiere im Spiel lernen, wie sie später jagen
sollen und Konkurrenten loswerden können. Jetzt erscheint ihr tägliches Spiel mit Peter
fast auch wie diese jungen Füchse. Ob Peter sie heute wieder gesehen hat bei seiner
Fahrt in die Weingärten?
Kathi wäscht sich und entfernt Haare, wo sie heute keine haben möchte. Sie weiß, mit der
Spitze und dem Öl mit dem Rosenduft wird sie ihren Ehemann magisch anziehen. Er wird
verschwitzt ankommen, ihm wird bei seiner Arbeit sehr warm geworden sein. Warum soll
ihn also kein kühlendes Bad im Hof erwarten? Kathi erträgt die Ruhe nicht mehr lang, zu
viele Gedanken und kreative Pläne für sich und ihren geliebten Ehemann lassen nur
Geschäftigkeit zu. So mahnt Kathi sich zu ruhigen und überlegten Bewegungen. Sie
empfindet sich selbst heute im Einklang mit der Natur, der Sonne, ihrer Liebe und so
nimmt sie, die frisch verheiratete Ehefrau, unerwartet Erotik wahr. Ja, sie fühlt sich selbst
heute zum ersten Mal in ihrem Leben erotisch. Der Gedanke irritiert sie. Ihr
Schwiegervater ist der Kirchenälteste in der Gemeinde.
Na, aber auch er wurde doch mehrfacher Vater! War sie einfach nur zu scheu? Oder sind
die Konventionen ihrer Zeit einfach zu streng? Ja, die Konventionen sind sehr streng. Aber
Kathi hat sich nichts vorzuwerfen. Sie ging „sauber“ in die Ehe. Sie war keine, die sündig
in die Ehe gegangen wäre. Ihre jetzigen Pflichten als Ehefrau erscheinen ihr weniger als
Pflicht denn als liebevoll begangene kleine Sünden, die gar keine sind. Da steht das
Sakrament der Ehe davor. Das ist heilig. Der Gedanke, dass in ihrer Liebe zu ihrem
Ehemann auch die Liebe Gottes bestätigt werde, möchte sie jetzt gerne mit Peter
besprechen. Bei einem Spaziergang über die frühlingshaften Felder. Bestätigen sie und ihr
Mann die Liebe Gottes auch in ihrer körperlichen Liebe? Kathi weiß darauf keine Antwort,
liebt aber diesen Gedanken. Die Vorstellung, dass ihr Mann bald erscheinen, sie mit
seinen Händen ergreifen und mit den Armen eng an sich ziehen wird, löst Regungen in ihr
aus, die noch neu für sie sind, aber nicht mehr ganz unbekannt. Der Kuss auf den sie sich
freut, wird in ihr eine erste Spannung lösen.
Kathi möchte ihren Mann heute verführen, den Stammhalter zeugen, ihm ein Kind
schenken und weiß noch nicht, wie genau sie es anstellen wird. Ja, sie wird ihren Mann
waschen und während er in der Wanne sitzt, wird sie ihr Kleidchen ausziehen. So wird er
die Spitze an ihrem Leib entdecken müssen und sehen, wie sich Muster, kleine Löchlein
und die Spitze selbst um ihre kleinen, blonden Härchen spielen. Kathi fragt sich, ob sie
ihren Peter heute überraschen darf, wenn sie ihn mit ihren Händen überall berühren wird,
wo sie es sich jetzt vorstellt?
Kathi will sich konzentrieren und mahnt sich zur Ruhe. Sie will alles für Peters Bad vorbereiten. Die Kirchenglocken haben schon längst das Ende des Gottesdienstes
signalisiert, und das bedeutet, ihr Mann wird sich bald auf den Heimweg begeben.
Erdbeeren soll er bekommen! Kathi hat eine Idee: Peter liebt Süßspeisen. Warum soll
Kathi heute nicht Schokoladenpudding kochen und ihn über geschnittene Erdbeeren in
den Glasschüsseln füllen? Damit will Kathi ihren Mann überraschen, wenn er in der
Wanne sitzt. Soll er doch auch einen wunderschönen Sonntag erleben. Nicht nur draußen
im Sand in den Weingärten, sondern auch hier. Zuhause mit ihr, seiner Frau.
Ihren Fleiß besiegt Kathi an diesem Sonntagmorgen im Mai 1932 in dem kleinen Dorf an
der Banater Sandwüste nicht. Sie gibt ihm nur eine andere, bislang ungewohnte Richtung
und sie freut sich, ihren Ehemann Peter mit einem Bad, Rosenduft, frischer Bettwäsche,
Schokoladenpudding auf frischen Erdbeeren, der Spitze unter ihrem Kleid und ihrer Liebe
zu empfangen.
Inzwischen ist Kathi sicher, dass er sich derlei von ihr sogar ersehnt. Sie ist nun glücklich,
sein Rätsel entschlüsselt zu haben und hat alles erledigt, was sie zu tun zu haben glaubt.
Einzig das Hoftor ist noch versperrt. Kathi nimmt die Sperre ab, legt den Balken zur Seite
und schaut schnell und verstohlen hoffnungsvoll auf die Straße. Von links sollte Peter mit
dem Fuhrwerk anrollen. Aber er ist noch nicht in Sicht. Kathi schließt das Tor wieder und
ertappt an sich selbst Ratlosigkeit, die schnell zu Langeweile werden könnte.
Eine Idee, die ihr wie eine kleine Notlüge erscheint: Warum sollte sie nicht die Zeitung
ihres Schwiegervaters nehmen und unterm Walnussbaum im Hof lesen? Bislang hatte sie
sich nicht für Dinge interessiert, die in der Zeitung stehen. Sie liest und stellt fest, viele
Geschichten aus aller Welt vorzufinden. Kino, Deutschland, Wien, Berlin, New York. In
Deutschland sind bald Wahlen und einem Österreicher werden gute Chancen
zugesprochen. Na, die Österreicher haben hier im Banat viel Gutes bewirkt, da kann auch
dieser seltsam erscheinende Politiker vielleicht auch nicht ganz so verkehrt sein. Peter
wird ihr hierzu Fragen beantworten können. Sie wird ihn nachher danach fragen. Kathi
liest weiter und findet eine Geschichte aus dem Banat vor. Ein Fortsetzungsroman, dessen
8ten Teil sie hier lesen kann und gerne wüsste, was vorher geschah. Leider hat sich die
Familie damit auf dem Donnerbalken die Hinterteile gereinigt. Sie liest die Geschichte
dennoch und im Moment der größten Spannung hört sie Lumpi vor dem Hoftor bellen und
mit den Pfoten am Hoftor scharren wie eine Katze. Kathi springt auf und empfängt den
vorausgeeilten Boten ihres Mannes. Der sitzt auf dem Kutschbock und winkt ihr fröhlich
zu. Ja, ihr Mann freut sich genauso auf sie wie sie sich heute auf ihn. Im Geiste geht sie
den bevorstehenden Ablauf ihres Plans durch.
Als Peter mit dem Gespann durch das Hoftor rollt und sie es in Windeseile wieder schließt,
nimmt sie zunächst einen intensiven Duft wahr und dann sieht sie drei Körbe voller
Aprikosen auf dem Wagen. Doch, die werden jetzt warten müssen. Peter entdeckt die
gefüllte Wanne direkt und natürlich hat er sofort erkannt, wie schön seine Frau sich für ihn
hergerichtet hat. Er zieht sie zu sich auf den Bock und küsst sie inniglich und voller
Leidenschaft, während er das Muster der Spitze auf ihrer Haut unter dem Kleid fühlt, aber
noch nicht versteht. Kathi lässt ihn nur kurz und doch einen Moment länger als eigentlich
geplant gewähren. Soll er die Spitze ruhig ertasten. Weil sie aber auch frech sein mag,
jetzt umso mehr, da er ihr Arbeit mitgebracht hat, schiebt sie seine Hände zurück und
springt nach einem Kuss herunter.
Nachdem die Pferde vom Wagen gelöst und getränkt wurden, drängt Kathi ihren Mann zur
Wanne mit dem kühlenden Bad.
Mitreißend ! Das Foto des Paares ist bestaunenswert, was für eine mühevoll hergestellte "Kostümierung", und die Geschichte, lieber Thomas Dapper, lässt wirklich alle Tränen vergessen. So sensibel und einfühlsam geschrieben, fühlt sich wohl jede Frau verstanden und ja klar, auch damals hatten die Frauen, wenn sie denn ihren Mann liebten, sehnsuchtgetriebene Verführungsgedanken. Adam und Eva eben! Was für eine wundervolle Geschichte.
Sehr einfühlsam erzählt. Und sehr spannend. Immer schwingt beim Lesen die Sorge mit, dass am Ende noch die Schwiegereltern hereinplatzen....
Edith Achim