Anmerkung der Redaktion
Die Autorin Maria Klein, auf deren Gedichte und Übersetzungen wir im Internet gestoßen und mit der wir im Rahmen unserer Banat-Tour in Dialog getreten sind, ist Ende der siebziger Jahre aus dem Dorf Triebswetter nach Bern, in die Schweiz, umgesiedelt. Über ihre Prägung im Banat und ihre Entwicklung im Lauf ihres weiteren Lebensweges in der Schweiz erzählt sie uns in ihrem sehr offenen und lebendigen autobiografischen Text.
Ihr Schicksal ist typisch für eine ganze Generation junger Menschen, die ihre Heimat im damaligen Osteuropa verlassen haben, um im Westen neu anzufangen. Die Motive sind unterschiedlich, genauso wie ihre Hoffnungen und Träume. Im Fall Marias sind es die Liebe und der Wunsch nach Entwicklungsmöglichkeiten.
Mit anderen Aussiedlern verbindet sie aber die Migrationserfahrung und die Erkenntnis, dass nach dem märchenhaften "Happy End", nach dem Ankommen am Ziel der Wünsche, im fremden Umfeld die Ärmel hochgekrempelt werden mussten und Leistung gefragt war.
Im Gedicht "Zuhause" von Maria Klein wird die ersehnte Auswanderung aus dem Banater Dorf thematisiert, der Ausbruch des jungen Menschen aus dessen Enge, aber auch die unterschwellige Sehnsucht nach der Einfachheit des dortigen Lebens. Es wird ein Gegensatz aufgebaut zwischen dem "Dort" der Seelen Prägung und dem "Hier", das der Persönlichkeit den Schliff gegeben hat. Dass dieser Schliff unter Mühen und nicht ohne Schmerzen entstanden ist, wird angedeutet.
In der Biografie Maria Kleins sind die Orte, an denen sie zu Hause war und ist einerseits ganz konkret Semlak/Triebswetter im Banat und Bern in der Schweiz.
Darüber hinaus verbalisiert ihr Gedicht aber auch die Fragestellung und das Lebensgefühl all derer, die das Gebiet ihrer Herkunft verlassen haben und an einen anderen Ort ausgewandert sind. Unabhängig von Herkunfts- und Zielort spiegelt es die Heimat und Identitätssuche von Ausgewanderten. Das verbindet sie als banater Schwäbin mit dem Schicksal der rumänischen Einwanderer für die Maria ihre geschätzte Übersetzertätigkeit ausübte.
Die Entwicklung, die sie im Lauf ihres Lebens durchgemacht hat und die ihr durch ihr Gehen möglich wurde, führte sie zu einem "Weltbürgertum" durch das sie auf der ganzen Welt zu Hause sein kann als "Teil vom Menschsein auf der Erde".
Nach Absprache mit der Verfasserin haben wir für die Videointerpretation des Gedichts ein Foto von Triebswetter von Doru Moldovan verwendet. Das Klavierstück des Barockkomponisten Johann Pachelbel unterstreicht den Rhythmus des Gedichts auf dezente Weise.
Zuhause
von Maria Klein
Wo ist mein Zuhause?
Ist es der Ort
wo ich aufgewachsen bin?
Ich wollte fort von dort,
in weite Fernen ziehn,
seiner Eintönigkeit entfliehn.
Heute bin ich fern,
und sehne ich mich zurück,
nach jenem einfachen Glück.
Das Dort hat mich geprägt,
das Hier hat mich geschliffen-
durch beides habe ich begriffen:
Zuhause ist der Ort, der mich beseelt,
den ich beseele, von dem beseelt ich gern erzähle.
Zuhause ist das Gefühl von tief verbundenem Leben,
Teilchen sein vom grossen Ganzen.
Es ist ein Segen.
Liebe Astrid
Ich bin so erfreut mein Gedicht ZUHAUSE von dir vorgetragen zu hören. Deine schöne, klare Stimme und die Musik im Hintergrund… und jetzt das Bild von Moldovan Doru. Das passt und es führt mir vor Augen wie wertvoll und einmalig das war, was wir hatten und Dankbarkeit überkommt mich, dass wir genau dieses Leben im Banat hatten. Es ist ein Segen.
Ich bin vor bald 66 Jahren in Triebswetter geboren, habe meine Kindheit aber (und zu meinem Glück), in Semlak, bei den Großeltern verbracht. Diese Zeit hat mich geprägt, es war mein Paradies, meine persönliche und glückliche "Heidi-Zeit"... das Haus der Großeltern stand direkt am Marosch Ufer, etwas abseits von der Straße, umgeben von Gärten und Natur pur. Da das Dorf auf einer Hochebene liegt, konnte ich vom Ende des Gartens, auf die Marosch, auf die große Sandbank und weit ins "Banat" hineinschauen… Jeden Morgen lief ich noch im Nachthemdchen dorthin und begrüßte den Tag von dort. Oh, es war ein freundliches Dorf mit seinen herzensguten Menschen, das war gelebte Nächstenliebe und ein harmonisches Miteinander… Rumänen, Deutsche, Ungarn und Serben wohnten in der Nachbarschaft… man half sich, besuchte sich, brachte einander Kuchenteller, stand sich bei wenn etwas nicht gut war… das war ein schönes, sehr einfaches und überschaubares Leben… Als Kind lief ich im Sommer barfuss herum wie alle Kinder, wir spielten im Sand und hüteten Ziegen, ins Wasser durften wir nur mit einem Erwachsenen in der Nähe, weil die Marosch ihre Tücken hat, sie fliesst träge aber unter der Oberfläche hat sie Wirbel, die gefährlich sein können… Im Winter flechten wir Matten aus Kukuruz Lieschen, mein Opa konnte Brot- und Eierkörbe daraus flechten und da saß man und erzählte sich Geschichten und aß dabei gekochte Maiskörner und manchmal sang meine Oma ungarische Lieder… und der Lehm-Ofen strahlte Wärme ab… das war meine "Heidi Zeit" in Semlak...
Für in die Schule musste ich nach Triebswetter, zu meiner Mutter, das war eine große Umstellung, da war dann Schluss Freiheit, Barfusslaufen, es gab auch kein Fluss weit und breit, nur der artesische Brunnen an der Ecke, lineal gerade Gassen, Haus an Haus, traditions- und brauchtums treue Menschen, man musste sich einer dem anderen anpassen, und sich immer so verhalten, dass es kein Anlass gab ins Gerede zu kommen..." die Leit rede schun", "was wäre die Leit soon"... darum verlief alles im Gleichschritt, für mich war dieses Leben monoton. Dafür lernte ich Stolz und Genauigkeiten, schöne Kleider zu tragen, Tanzen gehen, Freundschaften pflegen, hatte sehr gute Lehrer, denen ich bis heute viel verdanke, vor allem meine grosse Liebe für Gedichte.
Nach der Schule ging ich nach Großsanktnikolaus. Dort habe ich das Seral, das Abendgymnasium besucht und tagsüber in der Strumpffabrik gearbeitet. Im Saal waren wir Schüler verschiedenen Alters, Berufe und Nationalitäten. Der Unterricht war nur in Rumänisch. Das sollte mir später von großem Vorteil sein. Es waren eine wunderschöne fünf Jahre. Die Freundschaften halten bis heute an. Dann hat mich mein schweizer Brieffreund besucht. Er wollte dieses Gebiet, dort im Osten, hinter dem eisernen Vorhang, kennenlernen, wo eine deutsche Minderheit lebt. Er kam einmal, zweimal und immer wieder… das einfache Leben im Banat hat ihm gefallen, das Miteinander, die gut funktionierenden Dorfgemeinschaften, geschlossene Einheiten und doch einander so ähnlich, fast identisch, gesellschaftliche Gebilde mit gelebtem Zusammenhalt, enge Zugehörigkeit, stabile Identität mit festem Wurzelwerk, fruchtbare Oasen inmitten des bereits spürbaren kommunistischen Verfalls. Trotzdem sprach jeder vom Auswandern. Es war mehr als eine Sehnsucht… es war schon eine Sucht, wegzugehen. 1979 haben wir geheiratet und sechs Monate später kam ich in die Schweiz. Mein Märchen wurde wahr… aber dort wo das das Märchen aufhört mit "... und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie heute noch" dort beginnt die Realität.
Ich kam aus Triebswetter direkt nach Bern. Es war ein gewaltiger Unterschied… und was für einer… ein Kulturschock… alles war wie aus dem Bilderbuch... alles… nur die Menschen waren nicht so wie daheim… damit hab ich nicht gerechnet… das gute Leben ohne das Miteinander, ohne Gemeinschaft… plötzlich fand ich das gar nicht mehr so gut… und der viele Regen damals, kein richtiger Sommer, immer kühl und nass und das Gemüse schmeckte nicht wie daheim… die Regale waren voll aber nichts hatte den Geschmack wie aus der Heimat...
Ja das war schwer am Anfang… gar manches Mal wäre ich am liebsten zurückgekehrt… aber mit meinen Söhnen habe ich das Leben durch ihre Augen betrachten gelernt… die staunenden, entdeckenden und frohen Kinderherzen haben mir die Sicht geschärft. Ich musste das schwäbische Denken aufgeben, die vorgefertigten Erwartungen, Vorbehalte, das ewige Vergleichen ablegen um offen zu sein für das, was jetzt mein neues Leben ausmachte. Das war ein langer Prozess aber er hat sich gelohnt. Ich begann Freude zu bekommen an den Möglichkeiten, die sich mir boten. Als meine Kinder eingeschult wurden, leitete ich Vormittags eine Spielgruppe, dann 1989 kamen die ersten Asylbewerber in die Schweiz und man suchte Dolmetscher. Das war mein Element. Endlich die bekannte Sprache hören und all die Geschichten von daheim, auch wenn sie traurig waren… ich verstand die Denkweise dieser Menschen und konnte sie gut rüberbringen und so übersetzen dass man verstand, was diese Menschen sagen wollten. Das war mein Element. Ich wurde geschätzt für diese Arbeit und später wurde ich sogar Gerichtsdolmetscherin. Noch heute bekomme ich Anfragen zum Dolmetschen.
Im Jahre 2000 erfüllte ich mir einen Traum. Ich machte eine 4 jährige Ausbildung zur Shiatsu-Therapeutin. Die fernöstliche Denkweise hat mich schon immer beeindruckt und überzeugt. Z. B. dass unser Denken unsere Gesundheit beeinflusst. Der Körper ist an sich neutral… jeder sollte auf seine Gedanken und Emotionen achten mit denen er seinen Körper "füttert" und nicht nur auf eine gesunde Nahrung. Die Meridiane und die Akkupunkturpunkte sind die Landkarte, die zeigen wo das Gleichgewicht nicht in Ordnung ist.
17 Jahre hatte ich eine schöne Praxis in der Berner Altstadt. Das war die Krone meines Lebens… der Schliff… Wenn Semlak meine Wurzeln und Triebswetter mein Stamm waren, so ist mein Leben in der Schweiz meine Krone und meine Kinder, meine Familie die Blüten und das Leben mit seinen Annehmlichkeiten die Früchte.
Zuhause bin ich in mir, egal wo ich mich gerade befinde. Geprägt wurde ich von allem, was ich erlebt habe und meine Heimat ist eigentlich der ganze Erdball. Dort wo ich willkommen bin, egal in welchem Land, dort bin ich Teil vom Menschsein auf der Erde... es ist ein Segen.
Comments