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AutorenbildAstrid Ziegler

Die weggeworfenen Hunde: Die Geschichte von Medy und Bubi


Heute wird unsere Hündin Medy endlich den Body los, den sie die letzten zwei Wochen seit ihrer OP tragen musste, um nicht an der Naht zu knabbern. Während des Eingriffs und auch danach, als sie von der Narkose noch so unsicher auf den Beinen war, haben wir sehr um sie gebangt und gehofft, dass sie schnell wieder die Alte werden würde, ein quirliges, verspieltes und freundliches kleines Tier, einem Fuchswelpen ähnlich.

Wir erinnerten uns, als wir uns so um sie sorgten, an die Umstände wie sie zu uns kam, dass wir sie eigentlich gar nicht haben wollten und doch gerettet haben, diese verrückte Geschichte wie Vicky und ich “Welpenmütter” wurden vor über vier Jahren. Wie nach jeder Geburt sind vor allem die ersten dramatischen Stunden unvergesslich, es ist schön diese nochmal genau Revue passieren zu lassen, zumal es sich ja um ein ganz und gar nicht alltägliches Ereignis handelte.


Es war der zweite Abend nach unserer Ankunft in Paulisch in den Sommerferien gewesen. Das Werk des ersten Tages dort war vollbracht: Das ganze Gepäck ausgepackt, alle unsere Tiere freudig begrüßt, das Federvieh gefüttert und in den Stall gesperrt, Kontrollgänge durch Haus und Garten absolviert, Essen zubereitet. Erschöpft von dem ausgefüllten Tag und noch restmüde von der anstrengenden Fahrt waren wir früh zu Bett gegangen. Vicky schlief schon friedlich und mir fielen auch schon die Augen zu, als ich klägliches Schreien hörte. Es waren hohe durchdringende Töne zweifellos tierischen Ursprungs. Ein Vogel vielleicht, wird schon aufhören, dachte ich noch bevor ich vor Erschöpfung in einen Dämmerschlaf glitt.

Einige Zeit später schreckte ich hoch: Dieselben lauten hohen Klagelaute hatten sich ihren Weg durch den Traum in mein Bewusstsein gebahnt. Ich konnte mich dem tierischen Wehklagen, das offenbar direkt vor meinem Fenster, stattfand nicht mehr entziehen, und lief auf die Straße hinaus. Die Klagelaute kamen aus einem Karton, der auf der Rasenfläche vor meinem Schlafzimmer abgestellt worden war, darin lag in eine rosa Kinderjacke gewickelt ein winziges Wesen. Beim genaueren Hinsehen fand ich im Dunkel der Nacht noch ein zweites Geschöpf, das aus der “Verpackung” herausgekrochen war und schon einen ganzen weiten Weg im Gras zurückgelegt hatte. Was genau ich da geborgen hatte, wusste ich erst als ich damit in die Küche gekommen war. Im Licht der Esstischlampe wurde mir klar, dass ich zwei neugeborene Hundekinder in den Händen hielt.

Schnell und instinktsicher bereitete ich als erstes eine Wärmflasche, die Augustnacht war zwar mild aber nicht so warm, wie man es haben muss, wenn man ganz neu auf der Welt ist. Dann fand ich eine Spritze ohne Nadel mit der ich schnell ein bisschen lauwarme Milch in die Mäulchen träufelte. Nelu, der Hausmeister, der durch den Lärm aufgeschreckt auch dazu gekommen war, beobachtete mich bei den Erste-Hilfe-Maßnahmen und schüttelte den Kopf: "sunt prea mici şi o să moară, dă-i încoace să-i înec în găleată." (Die sind zu klein und werden eh sterben, gib sie mir, ich kann sie im Eimer ertränken, dann geht es schneller.)

Ich hatte von der dort üblichen Methode sich ungewollter Welpen zu entledigen gehört, aber für mich als in Deutschland Sozialisierte kam das natürlich nicht in Frage. Hundemüde wie ich inzwischen auch war, wollte ich erst mal darüber schlafen, packte die Beiden samt Wärmflasche in eine neue Kiste, stellte sie ins Bad und ging endlich ins Bett.

Am nächsten Morgen sah ich kein Lebenszeichen in der Kiste, offenbar hatten sie es nicht geschafft, die Ärmsten. Nelu sollte sie beerdigen noch ehe Vicky von der Sache erfuhr, denn sie sollte nicht traurig sein, nur weil manche Leute so gewissenlos waren und ihre Welpen vor anderer Leute Fenster entsorgten.

Doch Nelu kam grinsend aus dem Bad: “Nu pot să-i îngrop!“ (Ich kann sie nicht begraben!) Fragender

Blick meinerseits, dann: “Dar nu sunt morţi, sunt foarte vioi, du-te să-i vezi cum se mişcă în ladă!” (Sie sind gar nicht tot, sondern sehr lebendig, geh und schau wie sie sich in der Kiste bewegen!)


Nicht Freude, sondern blanke Hilflosigkeit überfiel mich, denn mir wurde klar, dass ich etwas unternehmen musste, um den Welpen einen qualvollen Tod zu ersparen. Im Internet fand ich ein Rezept zur Ernährung neugeborener Hunde. Es schien manchmal vorzukommen, dass Züchtern die Hundemütter bei der Geburt sterben, der wertvolle reinrassige Wurf aber durch Welpenmilchpulver und Nuckelfläschchen gerettet werden soll. Da ich in Paulisch natürlich keine solche Spezialmilch auftreiben konnte, probierte ich die Mischung, die stattdessen, laut Google, die lebenswichtigen Nährstoffe enthalten sollte. Ich rührte eine dickflüssige Paste aus Quark, Milch, Ei und Öl, denn der Nachwuchs von Carnivoren braucht kalorienreichere Kost als gewöhnliche Kuhmilch, die ich mit erwähnter stumpfer Spritze einzuflössen gedachte. Als Unterstützung hatte ich ein sechsjähriges Mädchen voller Enthusiasmus, die ihren Hundemutterjob richtig gut machte. Sie hatte keinerlei Berührungsängste den pelzigen kleinen Wesen gegenüber, die wie alle Neugeborenen zart und zerbrechlich wirkten. Sie massierte voller Hingabe auf meine Anweisung die winzigen Bäuche, um die Verdauung anzuregen, dabei war ich ja selbst alles andere als sicher, wie es geht.


In den folgenden Tagen und Wochen nährten und pflegten wir die beiden, die ich Bubi und Medy genannt hatte, -nach den Spitznamen der jüngsten Kinder von Thomas Mann- so gut, dass sie zu kerngesunden normalen Hundekindern heranwuchsen. Für die Beschwerlichkeit, dass die Quarkpampe anfangs alle 4 Stunden, also auch nachts verabreicht werden musste, entschädigten sehr berührende Entwicklungsschritte: der erste Blick aus den frisch geöffneten Augen, der Durchbruch der Milchzähne durch den weichen Kiefer, die ersten tapsigen Ausflüge.


Wir nahmen unsere Findelkinder in ihrer Kiste mit dem Auto mit nach München, wo wir sie in gute Hände weitergeben wollten, da wir ja immer noch unsere Hundesenioren Ursu und Linda hatten und sie deshalb nicht behalten konnten. Bubi wurde zu gegebener Zeit von einer netten Großfamilie aus Wasserburg adoptiert, wo es ihm hoffentlich immer noch gut geht. Medy landete anfangs bei einer älteren Dame, die aber unterschätzt hatte, wie schwierig Hundeerziehung ist und sie uns zurück brachte. Wir behielten sie schließlich, zu eng war das Bonding im Lauf der Zeit geworden und vor allem die Victoria wollte sich von ihrem Hundekind nicht mehr trennen.

Seitdem gehört sie zum Rudel, die kleine Füchsin, die wohl Chihuahuablut hat und entsprechend temperamentvoll und wachsam ist. Hoffentlich war der Tumor gutartig und sie kann sich noch lange ihres Hundelebens erfreuen, das so turbulent unter meinem Schlafzimmerfenster in Paulisch begonnen hatte.




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