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Rede zum Billeder KulTour-Tag


Lesung von Katharina Eismann

Mit der Paprika an Bord in der realen Billeder Stube gelandet, im Banater Parallelogramm, am 45 Breitegrad. Wenn die Chemie stimmt, wirkt das wie Treibstoff und der ist bekanntlich teuer. Initialzündung für dieses Experiment waren die Telefonate mit Astrid Ziegler, der spannenden Macherin von Banat-Tour. Gut, dass es kein Handyverbot im Lockdown gab.

Die gebürtigen Temeswarerinnen turnten nicht nur über den Opernplatz, stiegen in die Dschanga, wirbelten durch die Kindheit, die Pubertät über die Pasarela. Das Eis war schnell gebrochen, unaufgeregt haben wir der Coronalethargie ein Schnäppchen geschlagen.

Es hat gefunkt zwischen begradigten Strommasten, seine Fotografien sind ein Gedicht. Hans Rothgerber ist die sensible Linse im Hintergrund. Mein Dank geht an die herzlichen Gastgeber!

Zwischen zwei Welten aufgewachsen, meldet sich die zweite und die dritte Generation zu Wort. Die Emigrantenkinder verschaffen sich Raum für ihre eigene Geschichtswahrnehmung. Die Kofferkinder, die Dschangakinder. Ihre Vorreiterinnen und Sprachrohr sind Schriftstellerinnen wie Yvonne Hergane, Iris Wolff, sowie Szenen aus dem Paprikaraumschiff. Unerhört, nicht verhört, nicht eingesperrt und doch auf Wachsamkeit und Achtsamkeit mal geherzt, mal getrimmt, eine Generation im Wechselbad zwischen Herkunft und Ankunft.

Die Emigrantenkinder wollen sich vernetzen, neue Ausdrucksformen bündeln in Sprache, Kunst, Geschichte, Film, Tanz, Folklore, Jazz, Performance. Geschichte als Blog, Astrid Zieglers Banat-Tours Plattform ist ein erfolgreiches Beispiel.

Unverzüglich brachten die beiden leidenschaftlichen Banater das Konzept aufs Papier. Die andere Idee setzte prompt die Förderung durch das Kulturwerk der Banater Schwaben in Gang. Danke für die Aufgeschlossenheit und für die Unterstützung. Frischer Wind ist unersetzlich in der Diaspora, damit sie nicht verstaubt, ausstirbt. Die Emigrantenkinder als Zeitzeugen ihrer Erlebnisse – da gibt es Gesprächs- und Nachholbedarf!


Lassen Sie nun die Jamben vom Rosendiwan baumeln:

In der pannonischen „Heed“ in der Mitte zwischen Äquator und Nordpol. Die Heed und Hood verwechselte ich bereits als Kind. Wann immer „Triebswetter“, rumänisch Tomnatic über die Lippen meiner Nee-Oma wehte, wetterten schwarze Windzungen in meiner Fantasie. Das Triebswetter kein düsteres Nest war und das Wetter nicht mies, erfuhr ich viel später am Kachelofen meiner Eltern in der neuen Heimat im hessischen Obertshausen. Der Name stand Pate für die Schwarzerde: kein Himmel auf Erden, sondern himmlische Erde, eine verdrehte donauschwäbische Metapher. Ein Samenkorn reichte, und der Kukuruz schoss regelrecht nach Hü und Hott.

Die Paprika, das Nachtschattengewächs mit südamerikanischen Wurzeln ist ein unerschöpflicher Fundus. 40 Sorten oder 400 wurden in der Paprikahochburg kreiiert? Spitze, runde, dreieckige, gelbe, rote – schwärmt der Macher der Billeder Kultourtage am Telefon.

Doch das allein reichte nicht. Neben Haus und Hof und Familie bestellten die Frauen riesige Paprikakolonien, ein arbeitsintensiver und lukrativer Nebenverdienst. Alt und Jung wurde eingespannt, so manche Jungs verdrückten sich im Hambar, spionierten durchs Guckloch. Wir Stadtkinder hingen am Rockzipfel der Mütter auf dem Josefstädter Markt. In Freidorf, im Temeswarer Salatdorf wuchs nur die grüne Spitzpaprika, also rappelten wir uns auf und ratterten mit der Dschanga zu den Fratschlerinnen aus Billed bzw. Triebswetter um pungaweise prächtige Gogoschari (rumänisch Paprika) zu gepfefferten Preisen zu ergattern.

Wieder ins Gedränge der Dschanga, auf dem Heimweg wurde die Paprika im Zecker „vorgekocht“. Keinen Zeit für die Siesta. In der Sommerküche die Schürzen umgebunden, den Essig-Öl-Sud gekocht und die heiße Frucht in Dunstgläser getaucht und versiegelt, auch ein Metier der Frauen. In den nokturnen Regalen der Speis schimmerte ein tiefrotes Gemälde, die aufgereihten Dunstgläser. Winterabend für Winterabend schnabulierte die Familie saftige säuerlich-süße Ölpaprika zum durchwachsenen Schinken, solange der Vorrat reichte. Und wir Kinder verdrehten die Augen: Schon wieder „Eelpaprika un Schunge“. Schon wieder riechen deine Hände nach „muraturi“ (rumänisch Saures), rümpften wir die Nase.


Mit dem ersten Vogelgezwitscher war auch die letzte Ölpaprika vertilgt, die Dunstgläser schummerig. Von Februar bis November standen Schweißperlen auf der Stirn. Mit Sonnenkraft, Wasser, Pferdemist. Mit viel Pflege entfalteten sich die zarten Paprikapflänzchen zu prächtigen Kolonien. Die zündende Idee hatten auch die Billeder 1945 nach der Enteignung der Felder und Gerätschaften. Ausgelaugt, das Kriegstrauma in den Knochen, aber gleichzeitig kreativ und zäh.

Wiederholt sich die Geschichte? 2022 - seit zwei Jahreszeiten konfrontiert mit der Verwüstung der Ukraine, der Schwarzerde im Donbass. Putins imperialistischer Feldzug ist brutale Realität und hinterlässt verbrannte Erde, zerreisst Familien.


Und nun schlage ich eine Brücke an den Mainbogen nach Offenbach, auf eine Veranstaltung der Hochschule für Gestaltung mit dem simplen Namen UND. Eine Studentin mit asiatischen Wurzeln kredenzte fermentiertes Gemüse, schwärmte vom nachhaltigen Prozess des Reifens. Ihre Abschlussarbeit wird sie auch darüber schreiben. Was in mir das Banater Sommerritual wachrüttelte.

UND die Idee vom Teilen, vom Mitteilen. Vom Weitergeben. Vom Generationenaustausch. Von und mit Frauen. Von der Vielfalt ihrer Aufgaben und Talente. Vom Austausch. Vom Entdecken. Es ist wie atmen. Die Paprika als sinnliche Metapher, Banater Heimat und gleichzeitig auch Inspiration und Raum für Kreativität, ein Kreislauf im Spannungsbogen der Generationen. Verantwortung sucht nach Antworten. Rituale in ihrem ganzheitlichen Kontext, nicht nur konen für die Speis oder schmucke Trachten im Glaskasten. Vom Be Trachten. Es ist ein Kreislauf aus Dialog und Bewegung und Blick über den Tellerrand. Wir sind reich damit beschenkt.Lassen Sie sich verzaubern. Dieser Nachmittag ist mit dem Farmec (rumänisch Zauber) der Vielfalt fermentiert.

Wir lassen die Jamben vom Rosendiwan baumeln. Gehen Sie den Wortkreationen auf den Grund über Stock und Stein und mit dem Tanzbein zu interkulturellen Festen bis nach Serbien auf die Ruga. Mit Textpassagen über die Temeswarer Innere zwischen heute und gestern chauffiere und echauffiere ich Sie durch das „verstaubte“ Klein-Wien im Klartext Timisoara und nicht Temeschburg, auf Kindheitsspuren während der Diktatur. Eine Spritztour querfeldein nach Sacklas und durchs Leben zwischen heute und gestern. Im Paprikaraumschiff tummeln sich drei Generationen Überlebenskünstler von Banaterra bis in die Mainmetropole, selten eine pathetische Reise.

Im Koffer habe ich einen Koffer, eine Tasche, einen Zecker (in Österreich, rumänisch Punga) mit dem Slogan donaublauer Schrift: „Kann Spuren von Heimat enthalten“ - ein Geschenk von Frau Antipow, Kuratorin im Haus des Deutschen Ostens aus München. Geschenke erzählen vom Glück eine Brücke oder gar mehrere zu schlagen.


SKEismann Juni in Steinheim/Billed


Paprikaplantage in einem Billeder Hausgarten in den 1970er Jahren

Für die Dichterin aus Paulisch mit der Wahlheimat in Billed


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