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Die Pistole im Brunnen


Der alte Ziehbrunnen im Hof

Den Ziehbrunnen in unserem Hof in Paulisch gibt es seit ewigen Zeiten. Früher ließ man den Eimer an einer Kette hinunter, hörte wie das Wasser hinein schwappte und drehte dann das Rad bis er schwer gefüllt wieder zum Vorschein kam. Ein tägliches Workout nicht nur für Schultern und Arme, sondern für den ganzen Körper. Man musste die Wassereimer auch noch über den Hof und die Treppe hinauf in die Küche schleppen. Aus dem Eimer schöpfte man, wenn man Durst hatte, mit einem Emaille Becher das köstlich-kühle, frische und schmackhafte Brunnenwasser.


Als ich nach Paulisch zurückkehrte, funktionierte die Wasserversorgung immer noch über den Brunnen. Inzwischen beförderte jedoch - wie langweilig - eine Pumpe das kostbare Nass an die Oberfläche. Über Jahrzehnte war in der ganzen Gegend der Grundwasserspiegel gesunken und viele Brunnen versiegt. Unser Brunnen hatte noch wenig Wasser, das jedoch sandig und von minderer Qualität war. Mit dem Einbau eines Badezimmers und dem Anschluss an die Wasserleitung zog dann endlich Komfort ins Haus ein. Wir wußten das durchaus zu schätzen, denn auf Dauer war es doch beschwerlich sich über dem "Lavor" (Waschschüssel) zu waschen.

Es kam aber häufig vor, dass die Wasserversorgung stundenlang wegen Reparaturen an den maroden Leitungen unterbrochen wurde. Daher beschlossen wir, wieder Wasser aus unserem alten Brunnen sprudeln zu lassen. Dafür heuerten wir ein auf Bohrungen spezialisiertes Familienunternehmen an. Es war sehr mutig von den Männern, sich angeseilt in den scheinbar unendlich tiefen Schacht hinunter zu lassen. Zusätzlich mussten sie sicherstellen, dass es dort unten genug Sauerstoff und keine toxischen Gase gab, die eine Ohnmacht verursachen konnten. Dort unten stellte sich heraus, dass der Wasserspiegel im Brunnen nur noch einen halben Meter betrug. Beim Säubern des Brunnenbodens von Dreck, Schlamm und Schlick tauchte ein seltsamer Gegenstand auf. Das Metall war zwar schon erodiert, die Form ließ aber keinen Zweifel zu: Es handelte sich um eine Pistole!

Wir waren erstaunt und aufgeregt, denn mit dem Fund kamen Fragen auf. Wie lange war die Waffe dort unten gelegen? Wer hatte sie aus welchem Grund in den Brunnen geworfen? War es im Zusammenhang mit dem Krieg geschehen?


In der Nähe von Paulisch hatten im September 1944, als die Russen schon in Rumänien waren, schwere Kämpfe rumänischer Einheiten mit Horthy-Truppen stattgefunden. Zu den gefallenen Kämpfern gehörten junge Kadetten aus der Unteroffizierschule Radna (Școala de subofițeri Radna) und ihr Kommandant Ioan Fătu. Ihnen zu Ehren wurde 1974 das berühmte Helden Denkmal errichtet, das Paulisch landesweit bekannt gemacht hat.

Wie alle Deutschen des Ortes waren auch meine Großeltern damals in großer Aufregung. Ein Glück dass mein Großvater, als ehemaliger Offizier in der rumänischen Armee, zu Hause bei Frau und Kindern war. Sie lebten damals mit den Eltern und der Familie der Schwester meiner Oma in dem großen Hans zusammen. Die Großfamilie, Verwandte und Nachbarn kamen im großen Zimmer zusammen, um zu beraten, wo man Schutz suchen könnte. Da man im Dorf nicht sicher war, beschloss eine Gruppe sich in den Weinbergen zu verstecken. Meine Mutter, damals drei Jahre alt, erinnert sich noch daran, wie die kleinen Kinder in einer Hütte auf dem Berg auf den Tisch schlafen gelegt wurden. Doch russische Soldaten durchstreiften inzwischen auch die umliegenden Hügel und nahmen Großvater und Urgroßvater fest. Beide kamen nach Lippa ins Gefängnis, bis sich geklärt hatte, dass sie Zivilisten waren.

In dieser gerfährlichen Zeit voller Angst und Verunsicherung brachte der Cousin meiner Mutter, damals Anfang zwanzig, eine Pistole ins Haus. Diese Geschichte war mir damals, als wir den seltsamen Brunnenfund gemacht hatten, von einem Nachbarn erzählt worden, der sehr gut mit der Familie befreundet war. Woher die Pistole stammte, wusste er nicht mehr. Aber er wußte, was damals im Haus geschehen war. Die Schwester meiner Oma, Mutter des leichtsinnigen jungen Mannes, hatte ihm die gefährliche Waffe unter lautstarkem Schimpfen entwendet und sie verschwinden lassen.

Der Brunnen, dessen Wasser inzwischen wieder 6 Meter tief ist, schweigt wie ein Grab. Die Vermutung liegt aber nahe: Die "Mudder", alias Lissi-Tante, alias Liss-Oma, hatte die Pistole in den Brunnen geworfen.


Es war sehr mutig von den Männern sich in den tiefen Schacht hinunter zu lassen.

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