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Medizin vom "Pierapoum"


In doamna Anas Weinkeller

Migräne ist eine schlimme Sache. Von Kindheit an leide ich an manchen Tagen an diesen starken Kopfschmerzen, die es mir schwer machen meinen Alltag zu bewältigen. So merkte ich auch gestern nach dem Aufwachen, dass eine dieser Attacken sich anbahnte und nahm zwei Tabletten Paracetamol. Denn auch in den Ferien in Paulisch will ich fit sein und möchte es mir nicht leisten, den Tag im Bett verbringen zu müssen. Wir wollten zu Mittag Ratatouille kochen aus ganz besonders köstlichem Gartengemüse, das wir geschenkt bekommen hatten. Die sonnengereiften Tomaten, Paprika und Auberginen sind hier so frisch und geschmacksintensiv, dass sie in jedem Sommerurlaub ein “must have” bzw. “must cook” sind, ein absolutes Muss auf dem Speiseplan. Im Küchenschrank waren aber keine Zwiebeln mehr, die auch zum Rezept gehören. "Geh doch zur doamna Ana und frag, ob sie uns welche geben kann," schlug Benno vor. "Die hat bestimmt Zwiebeln aus dem Garten".


Doamna Ana, die ein paar Häuser weiter wohnt, hat uns seit wir hierher kommen unter ihre Fittiche genommen. Sie und ihr verstorbener Mann waren Jahre lang unsere erste Anlaufstelle bei den kleinen Widrigkeiten des Alltags. Keine Zwiebeln im Haus zu haben, ist ein typisches Beispiel dafür. Ich schnappte mir eine Tüte und schlenderte langsam die Straße entlang. Im Hinterkopf immer noch ein bisschen Schmerz, der von den Tabletten nicht restlos weg war.

Doamna Ana führte mich in die Speisekammer, wo sie mir stolz ihre frisch eingekochten Schätze zeigte. Auf Regalen standen Gläser mit Kompott und Marmelade, in Flaschen abgefüllter Tomatensaft, (rum. bulion), eingelegte Paprika (rum. gogoşari) und grüne Tomaten (rum. gogonele). Mir lief das Wasser im Mund zusammen angesichts der selbst gemachten Delikatessen. Die Zwiebeln und Kartoffeln waren in einer offenen Kiste im kühlen dunklen Keller gelagert, zu dem aus der Speis eine Treppe führte. Dort standen auch große Korbflaschen mit Schnaps, den doamna Anas verstorbener Mann, domnul Nelu, wie wir ihn immer respektvoll genannt hatten, Gott hab ihn selig, selbst gebrannt hatte.

Er war darin ein Spezialist gewesen. Sein ganzes Berufsleben hatte er dem Weinbau gewidmet, das Brennen von Hochprozentigem war lebenslanges Hobby. Ich hatte ihm oft bei der Prozedur zugesehen. Wir standen in der Kammer zusammen und ich durfte dann das erste Stampel Schnaps probieren, frisch aus dem Kessel. Ich trinke so gut wie nie, doch dieser Schluck musste sein. Schon der Duft nach Pflaume, Kirsche oder Birne war ein sinnliches Erlebnis, dann merkte ich das Brennen in der Kehle und schließlich das angenehme Feuer in den Adern. So spürte ich, dass ich im Banat war, wo es solch einen Überfluss an Obst gab, dass man es auf diese Weise verflüssigen konnte.


Nachdem Ana meine Tüte mit Zwiebeln gefüllt hatte, hob sie aus einer Ecke eine Korbflasche und hielt sie mir stolz hin. "Ich habe beim Aufräumen den letzten Schnaps gefunden, den mein Mann aus deinen Birnen gebrannt hat. Nimm eine Flasche mit nach Deutschland, es ist immer gut so etwas im Haus zu haben!"

Normalerweise hätte ich dankend abgelehnt. Doch ich erinnerte mich an domnul Nelu wie er gemütlich lächelnd mit dickem Bauch und blauer Arbeitsschürze in der Kammer neben dem Kessel gestanden hatte. Der alte Mostbirnbaum im Hof war vor einigen Jahren voller Birnen gewesen war. Wir hatten einen Sommer lang die Früchte aufgesammelt, in Stücke geschnitten und in Bottiche geworfen. Diese fuhren wir dann, als sie voll waren, zu domnul Nelu,der nach angemessener Gärzeit daraus sein, unser Hochprozentiges gebrannt hatte.

Wie ein Wunder war dieser Zaubertrank nun wieder aufgetaucht und ich beschloss mir zum Andenken eine Flasche mitzunehmen. Doamna Ana hatte schnell einen Schlauch zur Hand, sie forderte mich auf mit ihr zusammen die große Korbflasche auf den Tisch zu wuchten, “ca să aibe tuica cădere”, damit genug Gefälle für den Schnaps vorhanden ist. Aber sie sagte, sie könne nicht abfüllen und hieß mich es tun. Das eine Ende des Schlauches steckte sie tief in die Korbflasche.

Nun, ich hatte sowas auch noch nie gemacht, wusste aber wie es geht. Jedes Kind im Banat und wahrscheinlich in ganz Rumänien hatte schon mal dabei zugesehen.

Ich hockte mich auf den Boden und saugte an dem anderen Ende des Schlauches. Sofort spürte ich den brennenden Alkohol im Mund, schluckte ein, zweimal, bevor ich den Schlauch in den Flaschenhals steckte. Blitzschnell gluckerte die kristallklare Flüssigkeit in das Gefäß, das im Handumdrehen voll war. Also schnell den Schlauch rausgezogen! Da das kostbare Getränk immer noch heraus sprudelte, nahm ich den Schlauch wieder in den Mund und trank auch die letzten zwei, drei Schluck. Wäre doch schade um domnul Nelus Selbstgebrannten gewesen!

Das Ganze hatte sich in wenigen Sekunden abgespielt, Feuer brannte in meiner Kehle, Lava floss durch meine Adern, na ja, wer kennt das nicht! Über den Birnengeist war auch der Geist meines hochverehrten Nachbarn wieder bei mir. Beschwingt ging ich mit Zwiebeln und Schnaps nach Hause. Die Kopfschmerzen waren jedenfalls den ganzen Tag wie weggeblasen!


Eine typische "Speis" im Banat

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