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AutorenbildHans Rothgerber

“Kerweih” ist Kult - Folge 2





Eine Vortänzerin aus München bei der Billeder Kirchweih 2023


Astrid Ziegler interviewt von Adi Ardelean von TVR1 (öffentlich-rechtlicher Fernsehsender Rumäniens)


Ich habe vorhin an dem Kerweihstrauch geschnuppert, es riecht wirklich sehr gut und mir gefallen die bunten Bänder dran. Es ist ein Zeichen der Lebensfreude, also wie auch die “Kerweih” für uns ein Zeichen des Feierns, der Gemeinschaft und der Freude ist, die man mit diesem Fest ausdrücken möchte. Dazu gehören natürlich auch das Juchzen, dazu gehört das Tanzen, dazu gehören Essen und Trinken und dass man sich auch austauscht, dass man sich auch wieder sieht nach langer Zeit.


Was muss alles eine Mutter der Vortänzerin organisieren?


Also vor allem mit der Tochter darüber sprechen, was es mit dem Fest auf sich hat. Ich habe versucht zu erklären, dass sich die “Kerweih” verändert hat, dass wir nicht mehr die bäuerliche Gesellschaft haben, die es einst im Banat gegeben hat und die starke deutsche Minderheit, dass das Fest verändert ist. Aber es ist sehr sehr lebendig und mit großer Unterstützung vor Ort durch die Dorfgemeinschaft, die heute hier lebt, und durch die verbliebenen Deutschen, die heute hier sind, ist das noch möglich.


Wie ist das für Sie persönlich, dass ihre Tochter an diesem Fest ganz aktiv mitmacht?


Stolz und aufgeregt...Dankbar auch, dass sie so nett aufgenommen wurde in die hiesige Gemeinschaft und für mich ist es auch eine Art Initiationsritus. Also früher galt die Kirchweih der Partnerfindung. Die jungen Leute haben sich gefunden als Kirchweihpaare.

Heute ist das ja nicht mehr so, aber für mich ist es eine Initiation. Das heisst, meine Tochter wird hier in die Gemeinschaft eingeführt und nimmt das mit in ihr weiteres Leben. Egal wo das Leben sie hin verschlägt, sie hat als Basis ihre Wurzeln, die zu ihrer Identität immer dazu gehören werden. Meine Familie stammt ja aus Billed. Meine Großmutter hat in der Zwischenkriegszeit auch den Strauss ersteigert bekommen. Insofern ist es eine Tradition, die sehr spät fortgeführt wird, aber fortgeführt wird.


Wir sind seit ungefähr 20 Jahren wieder ein Stück weit ins Banat zurückgekehrt über ein ganz altes Haus, aus dem meine andere Großmutter stammt und dass wir also Stück für Stück vor dem Verfall gerettet haben. Und über das Gebäude sind wir zurückgekehrt und haben natürlich dann Kontakt zur deutschen Minderheit gesucht. Haben auch Kontakt zu den ausgewanderten Banater Schwaben gesucht. So sind wir also wieder ein Stück weit ins Banat zurückgekehrt. Nicht ganz, denn wenn man so jung ausgewandert ist, mit 11 Jahren, dann hat man eine Identität, die kompliziert ist, sage ich jetzt mal. Also man fühlt sich dazugehörig man fühlt sich aber natürlich auch in München zugehörig bzw. an dem Ort, zu dem man hingewandert ist.


Und wo ist die Heimat?


Die Heimat ist ein kompliziertes Phänomen, das nicht nur mit einem Ort zu tun hat. Das hat mit Sprache zu tun. Das hat für mich auch mit Gerüchen zu tun. Rosmarein gehört für mich absolut auch dazu, das ist ein heimatlicher Geruch. Heimat hat mit Küche auch zu tun, mit Gerichten. Also zum Beispiel gefülltes Kraut ist für mich auch Heimat. Manche Lieder sind für mich Heimat.

Also es da geht es nicht nur um einen Ort und es kann für mich auch kein Ort sein, denn ich bin in Temeswar geboren, ich bin oft in Paulisch gewesen und habe dort meine schönsten Ferien verbracht. Ich bin Sonntags hier in Billed gewesen. Natürlich betrachte ich das Banat auch als ein Stück Heimat.


 

Eingeladen zur Billeder Kirchweih hatten das Banater Forum, das Demokratisches Forum der Billeder Deutschen, die Verwaltung der Gemeinde Billed und die Trachtengruppe Billeder Heiderose. Zahlreiche Gäste aus Deutschland und dem Banat waren eingetroffen, darunter auch Werner Gilde, Vorsitzender der HOG Billed, mit einem Bus mit Gästen aus Karlsruhe. Treffpunkt war das Billeder Heimathaus, wo die Vortänzerin aus München, Victoria Ziegler, “abgeholt” und die zahlreichen Gäste auch verköstigt wurden.

Selbst tropische Temperaturen konnten die Festfreude nicht trüben. Die Trachtenpaare unter der Leitung von Tanzlehrer und “Kerweihvater” Hansi Müller, begleitet von vielen Gästen, marschierten durch die Großgemeinde im Takt der Blaskapelle “Banater Musikanten” aus Temeswar zum Einladen des Bürgermeisters Ioan Ovidiu Oprișa und zum Festgottesdienst in die katholische Kirche.

Neben der Billeder Heiderose, unter der Leitung von Edith Barta, sind die Gästetanzgruppen Vergissmeinnicht aus Busiasch, Wilderose Neupalota, Buntes Sträußchen Großsanktnikolaus, Banater Spatzen aus verschiedenen Ortschaften und Banater Kranz aus Temeswar mit dabei. Zuletzt gibt es ein Kulturprogramm auf dem Sportplatz der Gemeindeschule, mit dabei die kleine Gruppe der Billeder Heiderose.

Am Abend spielten Banater Musikanten unter der Leitung von Iosif Dorel Antal zu Tanz auf, zuletzt gab noch “Disco”.

4 Comments


Guest
Sep 01, 2023

Liebe Astrid,

ein schönes Interview! Es umfasst so vieles: Sinn und Ausdruck der "Kerweih", Wurzeln, Heimat und alles, was einen im Leben prägt. Auch den ewigen Kreislauf der Traditionen, von Generation zu Generation weiter getragen, der das Wesen unserer Identität würdigt.


Edith Achim

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Guest
Sep 01, 2023
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Danke liebe Edith! In der Kürze der Zeit und des Umfangs habe ich versucht das für mich Wesentliche darzustellen. Ich finde es schön, dass Du uns virtuell begleitet hast und hatte mich schon im Vorfeld sehr über deine Glückwünsche gefreut.

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Guest
Aug 31, 2023

Treffend geschrieben.

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Guest
Sep 01, 2023
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Vielen Dank

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