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Allerheiligen im Banat

Es lebe der Billeder Kerchhof und alle seine Toten

Das in Wiener Mundart gesungene Lied von Wolfgang Ambros fand ich schon immer sowohl frech als auch rührend: Es lebe der Zentralfriedhof und olle seine Todn, der Eintritt ist für Lebende heit ausnahmslos verboten…

Ausgerechnet dieser Song, den man heutzutage nicht mehr so oft hört, ging mir durch den Kopf, als Adam Csonti vor Allerheiligen so freundlich war, sich Zeit zu nehmen, um uns über die Billeder Friedhöfe zu führen. Adam ist Vorsitzender des örtlichen Demokratischen Forums der Deutschen, Mitglied im Gemeinderat und koordiniert auch die Friedhofspflege. Diese Arbeit in der Abgeschiedenheit steht nicht im Rampenlicht, wie die festlichen Bräuche der Banater Schwaben, gehört aber genauso zum Erhalt von Tradition und Brauchtum. Denn auch die letzten Ruhestätten unserer Vorfahren und Angehörigen sollen würdig erhalten werden, solange noch Leute am Leben sind, um ihrer zu gedenken. Deshalb können wir Menschen wie Adam und anderen Engagierten in den Gemeindeverwaltungen, den Heimatgemeinschaften des deutschen Forums und der Landsmannschaft dankbar sein, die sich um diese stille Pflege der Gräber kümmern.


In Billed gibt es keine zentrale Begräbnisstätte, sondern zwei "Kerchhöfe", an jedem Ende des Dorfes einen. Diese banat-schwäbische Bezeichnung stammt von unseren Vorfahren aus den Herkunftsgebieten, denn in Billed wurde um die Kirche herum nie bestattet.

Doch obwohl es keinen Friedhof in der Mitte der Gemeinde gibt, ist meine Assoziation zum legendären Wiener Zentralfriedhof zutreffend. Dass Billed das Musterdorf der Kaiserin Maria Theresia im Banat war, lernte hier jedes Kind. Da die Bestattung der Verstorbenen ein wichtiger Bestandteil der Kulturgeschichte einer menschlichen Gemeinschaft ist, orientierte man sich offenbar auch diesbezüglich an dem großen Wiener Vorbild.

In Wien hatte es schon seit 1410 eine Bruderschaft zur Leichenbestattung gegeben, die Eintrittsgebühr dazu war ein Pfund Wachs. In der Barockzeit wurden die Begräbnisse immer prunkvoller, den Höhepunkt der Prachtentfaltung bildete der kunstvolle Sarg der besagten Maria Theresia.


Seit 1867 gab es in der Hauptstadt Österreichs schon Bestattungsunternehmen, deren Bedienstete wurden "Pompfüneber" (von franz. pompe funebre, Begräbnisprunk) genannt. Die Herren, die das letzte Geleit gaben, waren vornehm schwarz livriert und trugen eindrucksvolle Kopfbedeckungen. Dieses Phänomen wurde in Billed offenbar übernommen. Nur 20 Jahre nach Wien gab es seit 1887 einen Bestattungsverein, dem jeder Bewohner einen Obulus entrichtete, um sicher zu gehen, dass im Gegenzug für ein würdiges christliches Begräbnis gesorgt wurde. Auch die Billeder Verstorbenen traten begleitet von schwarz befrackten Männern mit federgeschmückten Hüten auf einer von Pferden gezogenen barock anmutenden Totenkutsche, den letzten Gang bzw. die letzte Fahrt an. Das Musterdorf war also musterhaft auch in den Totenbräuchen, der letzte Erdenweg der Bewohner wurde auch hier zelebriert.

Uniformierte Bestatter und Totenwagen sind inzwischen Geschichte, wie mir Adam Csonti im Gespräch über den Friedhof berichtete, die Sitten und Gebräuche ändern sich auch im Banat. Auch die Totenwache zu Hause, die in den Banater Dörfern bis in die letzten Jahre noch üblich war, gehört der Vergangenheit an. Inzwischen wird vor der Beerdigung in den Friedhofskapellen Abschied genommen, was für die trauernde Familie eine erhebliche Entlastung sein dürfte.


Schon bei meinen früheren Besuchen war mir aufgefallen, dass die übrigens auch digital dokumentierten Friedhöfe vorbildlich gepflegt sind. Kaum Gras und Unkraut, keine umgefallenen oder schiefen Grabsteine. Viele Gräber sind mit Blumen bepflanzt, die betonierten Grabstätten haben selten Risse. Diese Friedhöfe sind keine toten Gottesacker, wie die katholischen Friedhöfe in manchen ehemaligen schwäbischen Dörfern. Sie wirken belebt, ja sogar lebendig. Gerade vor Allerheiligen herrscht eine geschäftige Betriebsamkeit. Adam erklärt, dass schon seit geraumer Zeit, nach einem Beschluss des Gemeinderats, auch orthodoxe Bürger in der ehemals katholischen Begräbnisstätte ihre letzte Ruhe finden. Eine gute Entscheidung, die die Friedhöfe gerettet hat, denn so kehrte auch nach der Aussiedlung der meisten Billeder Deutschen dort neues Leben ein. Die rumänischen, griechisch orthodoxen Bewohner übernahmen mit der Zeit den Brauch, die Gräber für Allerheiligen mit Blumen und Kerzen zu schmücken. Der Beitrag der Gemeinschaft und der vorbildliche Einsatz von Adam Csonti für die kontinuierliche Pflege haben zur Folge, dass der Billeder Friedhof auch heute noch ein Musterfriedhof ist.


Hans Rothgerber, der uns bei unserem Rundgang mit der Kamera begleitet hat, liefert seinen Landsleuten mal wieder ein ganz besonderes Video. Der Streifzug mit moderner Aufnahmetechnik, der uns ganz nah an die Gräber führt, wechselt sich ab mit beeindruckenden Aufnahmen, die die ganze Pracht des Blumen- und Kerzenmeeres aus der Vogelperspektive zeigen. Es werden Zusammenhänge in Geschichte und Gesellschaft hergestellt, die zeigen, dass Bestattung und Friedhofspflege nicht isoliert zu sehen, sondern vielmehr auch Bestandteil unserer gemeinsamen christlichen Kultur sind. Die Hintergrundmusik kommt von einer CD-Aufnahme mit dem Billeder Kirchenchor aus dem Jahr 1999, darunter auch „Ave Maria“, ein Liedsolo von Imgard Holzinger-Fröhr.

Mit der genialen und zum Thema passenden Metapher des Banater Dichters Horst Samson, Titel seines neuesten Lyrikbands "Der Tod ist noch am Leben", die ich zum Schluss zitieren möchte, beende ich meine Betrachtungen. Die Gedanken über unsere Sterblichkeit, Bestattungsorte und -riten werden uns weiterhin beschäftigen. Auch wenn dieses Leben, bis wir das Eintrittsticket zur ewigen Ruhe erhalten, gelebt sein will. Ganz im Sinne der barocken Auffassung des "memento mori".

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