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AutorenbildTheresia Reingruber

Ein Schlafplatz mit Aussicht


Ein Schlafplatz mit Aussicht - Aquarell von Stefan Jäger

Kommt auf den alten Birnbaum im Hof


Der alte Birnbaum, bekannt durch die von Astrid Ziegler veröffentlichten Artikel, „Kommt unter den alten Birnbaum im Hof“ und „Medizin vom Pierapoum“ gehört seit vielen Jahren zum „Generationengut“ unserer Großfamilie. Ich war sehr beeindruckt mit wie viel Pathos und Empathie das Dasein des Birnbaums geschildert wird. Es ist eine Hommage an den Baum, der einfach da ist und von dem man nicht weiß, seit wann er da ist, aber hoffentlich noch viele Jahre für die nächsten Generationen da ist. Der alte Birnbaum!

Mit Phantasie und Einfühlungsvermögen beschreibst du die Vielfalt der Vögel, Insekten und Tiere, die Unterkunft in seinen Zweigen oder seiner Rinde finden: Habichte, Eulen, Fledermäuse, Stare, Turteltauben, Spatzen, - im Sommer die Nachtigall, die vom Berg ihre schönsten Lieder singt, Hirsch- Rosen- und Marienkäfer, die sich im Winter in seiner Rinde verkriechen, um sich vor Kälte zu schützen, bunte Schmetterlinge, die um die Krone flattern, Mäuse, Marder, Iltis, Kröten, die nach Beute suchend vorbei huschen.

Das hat der alte Birnbaum wohl alles von oben beobachtet und sich bestimmt über die Gäste gefreut.


Doch wie groß war wohl seine Freude, hat er doch jahrein, jahraus als Schlafplatz dem Federvieh meiner Liss-Oma gedient.

Um auf den Baum zu gelangen, mussten die Hühner und selbstverständlich auch der Hahn, erstens die 11 Treppen bis zum Gang hoch hüpfen, danach über ein Brett/Latte vom Gangbrett bis zum Baum gelangen, um anschließend ihren/seinen Platz einzunehmen.

Ich habe sie des Öfteren beobachtet. Wenn die Dämmerung einbrach, begangen sie hochzuklettern.

Die Reihenfolge war nicht immer dieselbe. Mal war die weiße Henne als erste auf dem Baum, mal die mit den roten Federn oder die schwarz-weiße /schifferstonig, dann die Federfüßige, oder die mit dem Schopf. Daher die Schlussfolgerung: Das Schlafengehen war wahrscheinlich von Lust und Laune, Müdigkeit oder Wohlbefinden bedingt. Auch die Schlafplätze waren nicht immer dieselben - infolgedessen auch die Schlafnachbarinnen. So geschah es, dass diese sich hin und wieder stritten. Das konnte man an dem lauten Gackern nachvollziehen. Worüber sie unzufrieden waren, blieb ihr Geheimnis. Bevor sie einschliefen, wurde gesungen. Mal die eine, mal die andere gab den Ton an. Es folgte sogleich ein mehrstimmiges Einschlaflied.

Das „sich in den Schlaf singen“ war ein Ritual, das sich jeden Abend wiederholte, jedoch jeden Abend anders klang. Nach einer gewissen Zeit kehrte sodann Ruhe ein und das ganze Federvieh begab sich in das Land der Träume. In der tiefen Stille konnte man hin und wieder einen Schrei hören. Wie sollte man diesen Aufschrei deuten? Hat sich die eine oder die andere Henne weh getan, hat die rechte oder linke Nachbarin geschubst oder hat die eine oder andere schlecht geträumt und ist erschrocken? Das soll´s auch geben!

Der Hahn hatte seinen Platz eine Etage höher, umgeben von seinen Anbeterinnen - das waren aber nicht immer dieselben Hennen! Da stellt man sich doch die Frage: Hat der Hahn das bestimmt oder die Hennen? Bestand da eine gewisse Hierarchie oder Sympathie? Leicht möglich!


Im Allgemeinen verlief das „sich zu Ruhe begeben“ meistens reibungslos. Manchmal jedoch achtete die eine oder andere Henne nicht auf den Einbruch der Dämmerung. Es war die beste Zeit einmal allein nach Würmer zu scharren, überhaupt nach einem Regentag. Diese Unachtsamkeit musste sie mit dem Leben bezahlen, denn der Fuchs hatte es nicht weit bis zum Haus - nur einen Katzensprung. Das passierte des Öfteren.

Meine Liss-Oma erzählte, dass der Fuchs mit seinen funkelnden Augen die Hennen hypnotisierte und diese infolgedessen vom Baum fielen - eine leicht ergatterte Beute. Kaum zu glauben, oder doch? Früher glaubten die Leute daran. Heute unvorstellbar. Vielleicht war die Henne krank oder für einen Moment unvorsichtig und ist deshalb herunter gefallen.

Am Morgen weckte der Hahn seine Hennen mit einem lauten „Kikeriki“ und der Abstieg begann diszipliniert, um nicht hinunter zu stürzen.


Im Winter, bei klirrender Kälte, blieb das Türchen zum Gang geschlossen. Das Federvieh musste den Schlafplatz wechseln und schlief dann in einem Raum unter dem Gang, wo es wärmer war und es vor den Feinden: Fuchs, Wolf, Iltis, Ratten geschützt war.

Tja ,könnte der Baum sprechen, so hätte er noch viel zu erzählen.

Bestimmt kreisen Erinnerungen, die wir nicht kennen, in seinem Gedächtnis, aber auch Geheimnisse, die er im Laufe der Jahre durch die unterirdische Verflechtung mit den benachbarten Bäumen: Linde, Ahorn, Pflaume, Quitte, Aprikose, Kirsche, und Holunder aufgebaut hat.

Was die Gegenwart betrifft, so freut er sich auf das Kommen der Eigentümer und Verwandten, die er von früher kennt, wenn wieder Leben in Haus und Hof einkehrt, denn - so unter uns - er mag die Vögel, Insekten und Tiere, aber die Menschen mit ihrem Kommen und Gehen, ihrem Lachen und Weinen hat er tief in sein Herz geschlossen und in seiner Krone verankert.

Haus und Hof in den 80er Jahren mit der Übernachtungseinrichtung der Hühner am Birnbaum

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