Spurensuche an den Ruinen der Basilika von Orod
- Hans Rothgerber
- vor 6 Tagen
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Aktualisiert: vor 5 Tagen

Von einem König gestiftet, einem Papst finanziert und im Beisein einer Königin geweiht
Hinter der Kirche von Vladimirescu (früher Glogovăț; deutsch Glogowatz, ungarisch Glogovácz oder Öthalom) liegen am Ortsrand die steinernen Reste einer Anlage aus dem Mittelalter, deren Ausmaße schon auf den ersten Blick gewaltig erscheinen.
Es handelt sich dabei um die Ruinen der Basilika St. Martin von Orod, ca. 8 km östlich des heutigen Arad gelegen. Eine der ersten urkundlichen Erwähnungen des alten Orod geht auf die Zeit von König Béla II. zurück, der von 1131 bis 1141 regierte. Das Schicksal dieses besonderen ungarischen Königs mit dem Beinamen “der Blinde” ist heute fast in Vergessenheit geraten, genauso wie der einst für seine Herrschaft wichtige Ort Orod.
Sie beginnt grausam im Jahr 1113 als Bélas Onkel König Koloman seinen Bruder Álmos und dessen Sohn blenden lässt, um die unbequemen Verwandten für Unruhen zu bestrafen und von der Thronfolge auszuschließen. Den Geblendeten gelang es trotz des Verlusts ihres Augenlichts, sich nach Konstantinopel zu retten. Von dort sollte König Kolomans Sohn seinen Cousin Béla zurück nach Ungarn holen, da er keinen eigenen Sohn und Nachfolger hatte.
Ein einschneidendes Ereignis in Orod, das aufgrund seiner Grausamkeit in die Geschichte einging, ist der blutige Reichstag des Jahres 1131. Aus Rache für seine Verstümmelung ließ der an die Macht gekommene Béla 68 Adlige, denen Beteiligung an dem Verbrechen vorgeworfen wurde, umbringen. Angeblich spielte bei dem Vergeltungsakt Bélas' Frau Königin Ilona, die eine serbische Prinzessin war, eine wichtige Rolle.

Im Jahr 1135, vier Jahre nach dem Massaker an den ungarischen Adligen und eventuell als Buße für die Bluttat stiftete König Bela das kirchliche Zentrum von Orod. In der Festung von Orod wurde mit dem Bau der Basilika des Heiligen Martin, der aus Pannonien stammte, begonnen. Die Anlage um die Basilika beherbergte auch ein Repositorium und diente dem Kapitel des Stifts als Versammlungsort.
Das Kapitel, ein rechtsfähiges Kollegium von Priestern der Stiftskirche, war nicht nur für die religiösen Belange zuständig, sondern fungierte auch als Beglaubigungsstelle für zahlreiche Urkunden und Diplome. Es war befugt, umstrittene Entscheidungen in Rechtsangelegenheiten zu fällen, wobei es wie zu der Zeit üblich auch auf „göttliche Prüfungen“ zurückgreifen konnte.
Die Anlage in Orod ist in die Praxis zahlreicher Kirchengründungen der Arpadenzeit einzuordnen, die in dem Abschnitt des Marosch-Tals zwischen Zám und Csanád erfolgte, der einst zu den Komitaten Arad, Zárand und Csanád gehörte. Bis zum Ende des 13. Jahrhunderts wurden dort gemäß Erzählquellen, Dokumenten und dem päpstlichen Zehntregister an die 20 Klöster und mehr als 70 andere Kirchen errichtet.

Die Propstei in Orod diente auch als Repositorium, das heißt, sie stellte einen verwalteten Ort zur Aufbewahrung geordneter Dokumente dar, die einem bestimmten Nutzerkreis zugänglich waren. Auch die Gründung des Repositoriums passte zur Herrschaftspraxis von König Béla II., während dessen Regierungszeit sich die Hofkanzlei formierte, die sich zentral mit den schriftlichen Angelegenheiten des Hofes beschäftigte.So avancierte der heute fast vergessene Ort zu einem wichtigen Zentrum im damaligen ungarischen Königreich.

Diese große Bedeutung spiegelte sich in den Ausmaßen der Anlage wider. Die Basilika von Orod war im 12. Jahrhundert eines der größten Steingebäude der ganzen Gegend. Das im romanischen Baustil errichtete Gebäude mit einem Mittel und zwei Seitenschiffen, die vier Seitenaltären beherbergten, wurde wie schon erwähnt dem Heiligen Martin von Tours gewidmet und nach fast 70 Jahren Bauzeit im Jahr 1224 in Anwesenheit von Königin

Yolanda, der Ehefrau von König Andreas II., (der im selben Jahr den Siebenbürger Sachsen die als Andreanum berühmt gewordenen Privilegien verlieh) geweiht. Der Bau der Stiftskirche von Orod war mit finanzieller Unterstützung von keinem Geringeren als Papst Honorius III. (1216 -1227) vollendet worden.

Untersuchungen im 19. Jahrhundert zu Folge hatte die Kirche zwei Westtürme und ein Querschiff gehabt. Das Mittelschiff, das in einer halbkreisförmigen Apsis endete, war mit knapp 60 Metern von beachtlicher Länge. Der Dom zu Speyer zum Beispiel, eine der bedeutendsten romanischen Kirchen der Zeit in Europa, ist im Vergleich nur gut 10 m länger. Die schmalen Seitenschiffe waren durch eine Reihe von Kolonnaden vom Hauptschiff getrennt.
Heute gibt es im Maroschtal keine romanischen Kirchen mehr. Es sind nur noch wenige Ruinen oder Reste von Grundmauern vorhanden, meist an Orten fernab der heutigen Dorfkerne. Die Kirchen, die den Mongolensturm noch überdauert hatten, fielen spätestens der osmanischen Eroberung zum Opfer. Im Westungarn aber, in Gegenden, die nicht dauerhaft von den Osmanen besetzt waren, gibt es noch einige Stiftskirchen aus der Zeit der Arpaden im romanischen Stil. So kann man sich zum Beispiel anhand der Stiftskirche des St. Georgs-Klosters von Ják, die heute zu den bedeutendsten aus dieser Zeit erhaltenen Bauwerken in Ungarn zählt, vorstellen, wie die Kirche von Orod ausgesehen haben könnte. Die Basilika von Ják ist allerdings mit ihren 38,5 Metern Länge erheblich kleiner als die Kirche in Orod.
Während der osmanischen Besatzung ab 1551/52 wurden Kirche und Festung von Orod teilweise zerstört und die Bewohner getötet oder vertrieben, so dass der einst so wichtige Ort Orod seine Bedeutung verlor.
Als die in der Regierungszeit von Kaiserin Maria-Theresia nach Ungarn geholten deutschen Siedler im Jahr 1723 in der Gegend ankamen, bauten sie auch auf Teilen des ehemaligen Kirchengeländes ein neues Dorf, das anfangs erwähnte Glogowatz.
Im Jahr 1777 begann der Bau einer neuen Kirche, die noch heute in der Nähe der archäologischen Stätte steht und für die auch das Baumaterial der Ruine der alten Basilika benutzt wurde.

Im Jahr 1858 wurden die immer noch beeindruckenden Ruinen der örtlichen Verwaltung übergeben, was den Abriss nur noch beschleunigte, da das Baumaterial auch für profane Zwecke verwendet wurde. Um die kirchengeschichtlich wichtige Anlage zu sichern, kaufte Sándor Bonnaz, der damalige Bischof von Tschanad, die Ruine und rettete das, was noch übrig war.
Die ersten archäologischen Vermessungen begannen erst in den 1870er Jahren.

Heute sind die einzigen Überreste des ehemaligen kirchlichen Zentrums von Orod seine Ruinen, die zu weiteren Forschungen anregen. Zu den Vermessungen und bildlichen Rekonstruktionen von ungarischen Wissenschaftlern des 19. Jahrhunderts kamen aktuelle Forschungen von rumänischer Seite.
Trotzdem bleibt das tatsächliche Aussehen der Basilika ein Rätsel. Nach zwei Besuchen der archäologischen Reste und zahlreichen Fotos und Drohnenflügen generierten auch wir durch KI ein potentielles Abbild der Kirche.

Sie mag so oder so ähnlich ausgesehen haben, einen Eindruck bekommt man jedenfalls durch die Rekonstruktion von der bedeutenden Basilika am Ortsrand des heutigen Vladimirescu. Sie wurde einst von einem König gestiftet, einem Papst finanziert und im Beisein einer Königin geweiht. Sie sollte nicht in Vergessenheit geraten.
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