Redaktionelle Anmerkung
Manchmal begegnet man Menschen, die einem gleich vertraut vorkommen. Bei meinem letzten Aufenthalt im Banat lernte ich Karin Bock kennen. Genauer gesagt saßen wir nebeneinander während einer Veranstaltung. Wir lauschten den Lesungen, blickten zueinander hin und warteten auf unseren Vortrag. Als Karin schließlich dran war, bestätigte sich die Ahnung einer Gemeinsamkeit.
Als ich in München dann Karins Website besuchte, fielen mir die zahlreichen Parallelen zwischen uns auf. Wir sind ungefähr gleich alt, beide in Temeswar geboren und 1980 als 11- bzw. 13-jährige mit unseren Familien ausgewandert. Wir gehören zu einer Generation, die ich gerne als Banater Kinder bezeichne, da wir unsere Kindheit noch in Rumänien verbracht haben, in den Dörfern mit der Familie noch schwowisch gesprochen und auch die rumänische Sprache noch gelernt haben. Unsere Ausbildung fand in Deutschland statt und als Erwachsene begannen wir uns schließlich mit unserer Herkunft auseinanderzusetzen.
Karin Bock studierte Touristik-Betriebswirtschaft und begann noch während des Studiums in den 90er Jahren Gefühle und Erfahrungen, die sie mit der alten Heimat verbanden, in Gedichten zu verarbeiten.
Karin schreibt auf ihrer Seite https://kulturkonzepte-karinbock.de/ zu ihren Ausdrucksformen, ihrem Mitteln mit der Umgebung in Kommunikation zu treten:
Worte sind stark...
Worte können verzaubern, verbinden und vermitteln, manchmal auch verletzen. Das habe ich früh erkannt. Seit meiner Kindheit schreibe und dichte ich gerne. Lyrik ist mein Mittel, Emotionen, Erinnerungen und Sinnfragen zum Ausdruck zu bringen. Ich füge aber auch gerne verschiedene Ausdrucksformen zusammen: Malerei, Fotografie, Grafik, Lyrik oder Prosa. So entstehen Buchprojekte, die ich Ihnen/Euch hier vorstellen möchte.
Ideen zu skizzieren und in einem Konzept zu vertiefen ist eine weitere Passion, die mich durch meine Berufsjahre begleitet. Über neue Ansätze und Ausführungen hierzu informiere ich Sie/Euch auf diesen Seiten. Und in meinem Blog schreibe ich über das, was mir gerade wichtig ist, oder mich bewegt. Auch aktuelle Termine und Hinweise stelle ich dort ein. Für neue Fotobeiträge habe ich Instagram als Plattform gewählt, um mit Ihnen/Euch in Kontakt zu sein.
Lyrik
Seit vielen Jahren schreibe ich Gedichte, wenn mich etwas bewegt, berührt oder wenn ich etwas Besonders mitteilen möchte. Einige wurden in meinen beiden Foto-Lyrik-Büchern veröffentlicht. Die meisten jedoch nicht.
Kultur ist vielschichtig, vielseitig und betrifft nahezu alle Lebensbereiche. Die schönen Künste, das Essen, das Kleiden, das Kommunizieren, die Bildung, die Medien, das Reisen, die Tradition, die Heilkunst, die Philosophie und Religion, die Wissenschaft, die Politik, die Freizeit — das Leben in einer Gesellschaft.
Alles ist miteinander verwoben und gehört dazu. Die „schönen Künste" miteinander zu verbinden und in anderen Bereichen zu integrieren und dabei Menschen zusammen zu bringen ist meine Intention.
A S P E K T E
DER ORT - DIE HEIMAT Der Ort – das Dorf, die Vertrautheit der kleinen Dinge, die Hülse, aus der ich entsprang. In seiner Einmaligkeit begleitete er mich durch die Kindheit - ein Gerüst, in dessen Dimensionen die vagen Phantasien immer wieder zurückfanden und dessen Enge damals weit genug war. Der Ort, der als solcher mehr gab, als er nahm und mich nie in Frage stellte.
Der Ort – sein Geist, die Menschen, die ihm Leben gaben. Ihre Moral, die langsamen Rhythmen und die kleinen Fortschritte. Dieser Geist hat mich erzogen und begleitet mich heute noch durch eingeprägte Bilder und Geschichten, durch Menschen dieses Ortes die mich umgeben – sie halten ihn aufrecht, denn er existiert immer dort, wo sie gerade sind. Der Ort – die Heimat. Weit entfernt ist er der Grund, weshalb ich mich überall zurechtfinde, und nirgends richtig zu Hause bin. Der Akzent meiner Sprache jedoch, ein Andenken und ein sicheres Zeichen, sein Abverlangen, ihn nicht verleugnen zu können, denn es ist der Ort, der für mich bestimmt war, aus Millionen von Orten dieser Welt. Ich verleugne ihn nicht.
Der Ort - ein Wiedersehen!
Die Stätten der Kindheit wieder finden
und wissen, dass sie für immer
nur noch Vergangenheit sind.
Dem verändert Vertrauten eine kleine Huldigung
bringen mit Wehmut und Dank für die
Geborgenheit, die es so nicht mehr gibt.
Häuser, Bäume, Menschen erkennen
und einen Augenblick sich ich ihnen spiegeln.
Kräfte sammeln für das Heimatgefühl
in den Zeiten, die kommen.
Interpretation des Gedichtes Aspekte durch Astrid Ziegler
In der Korrespondenz, die auf unsere Begegnung folgte, schickte mir Karin drei ihrer Gedichte, die sie schon in den neunziger Jahren verfasst hatte. Sie schlug vor, eines davon zu rezitieren, was mich vor die Qual der Wahl stellte. Denn mit allen drei Gedichten ging ich sofort in Resonanz.
Nach mehrmaligem Lesen und langem Überlegen entschied ich mich schließlich für das Gedicht mit dem Titel "Aspekte".
Der Titel "Aspekte", so nüchtern wie ein Montagmorgen, verschleiert sublim das, worum es in den folgenden Versen eigentlich geht. Es ist eine Hommage an den Ort, den einzigen Ort, aus dem jemand stammt. Die Autorin verwendet dafür die schöne Metapher "die Hülse, aus der ich entsprang". Direkt aus dem Garten verlässt man die schützende Hülle, wie ein Samen, der in die Welt geweht wird.
Der übergeordnete Zusammenhang der Aspekte ist das Phänomen Auswanderung, die Tatsache, dass Menschen ihre Herkunftsgebiete verlassen, um woanders ein neues Leben zu beginnen. Von wo man, wie die Autorin in jungen Jahren, verweht wurde, wohin und warum, wird nicht thematisiert, was die Aspekte des Phänomens Heimatverlust umso universeller macht.
Von Millionen von Orten, an denen man entsprungen sein könnte, gibt es nur einen, dessen Enge damals weit genug war. Der Ort der Herkunft, der aber auch durch Menschen und deren Wertvorstellungen geprägt war. Das geht über dessen rein geographischen Aspekt hinaus und erweitert die Heimat über Menschen, die sie auch ausmachen, egal wo man sich auf der Welt befindet.
Durch die Menschen, die seinen Geist ausmachen, fand eine Erziehung statt, die wir Aussiedlerkinder in Form von eingeprägten Bildern und Geschichten mitnahmen in die weite Welt.
Es fehlt nicht das große Wort Heimat in diesem Gedicht, dessen Titel so vernünftig und analytisch daher kommt wie der der Fernsehsendung Aspekte der 90er Jahre. Die Thematisierung auf rationaler Ebene unter dem Titel von Nüchternheit und Vernunft schafft einen maximalen Kontrast zur emotionalen Botschaft des Gedichts. In diesem Spannungsfeld entsteht die starke Wirkung. Denn die wohl gesetzten Worte sind weit genug, dass sich zwischen den Zeilen Emotionen durchscheinen. Überlegungen und Gefühle, die Menschen, die -warum auch immer- ihre Heimatorte verlassen haben, und die sie, egal wo sie herkommen, ein Leben lang beschäftigen. Die Erfahrung, die Menschen machen, wenn sie aus ihrer Hülse in die Welt hinausgeschleudert werden...
Ein weiteres Gedicht von Karin Bock - Sinnesfragen - gelesen von Astrid Ziegler
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