Das Dorf meiner frühen Kindheit bestand für mich aus nur drei Straßen: „Unser Stroß“, eine langgezogene Straße, in der meine Familie und meine Großeltern wohnten, die Straße „unerm Berig“ und die Straße nach Altpaulisch. Diese Straße war damals für mich die Grenze zu einer unbekannten, großen und geheimnisvollen Welt. Weiter als bis zu dieser Straße durfte ich als kleines Mädchen nicht gehen.
„Unser Stroß“ begann oben „unerm Berig“ und ging kerzengerade runter bis zum Neupaulischer Friedhof. Auf der rechten Seite gab es eine großflächige grasbewachsene Ebene, die „Hutwad“.
Zwischen diesen drei Straßen verbrachte ich eine schöne Kindheit. Dort war mein Zuhause, es war meine Welt, in der ich mich sicher und geborgen fühlte. Jeder, der in Neupaulisch wohnte, wusste, in welches Haus ich gehörte. Die Nachbarn waren mir vertraut, ich ging dort ein und aus. War ein Gartentor nicht abgesperrt, war das für mich eine Einladung einzutreten. Wenn einer mal keine Zeit für mich hatte, ging ich einfach ein Häusle weiter. Das habe ich auch ohne große Worte verstanden. Ich war ein rastloses Kind, immer auf Entdeckungsreise, immer neugierig auf das, was draußen in unserer Nachbarschaft so passierte.
Es gab jedoch auch Orte, die mir ein wenig unheimlich waren, da traute ich mich nicht hin. Einer davon war die „Hutwad“, auf der Kühe, Pferde, Schafe und ein Esel gemächlich grasten. Sie grenzte rechter Hand das Ende der mir bekannten und vertrauten Welt ab. Ich ging nur im Beisein meines Opas dorthin. Zu gefährlich waren die Hirtenhunde, die jeden wild anbellten. Dieser Ort war einfach viel zu weit weg vom sicheren Zuhause. Den Kuhhirten traute ich auch nicht, sie wohnten nicht in unserer Straße, es waren Fremde für mich. Mit ihren großen weiten Mänteln und den seltsamen Hüten auf dem Kopf sahen sie merkwürdig aus.
An Wochentagen fand morgens und abends ein stets wiederkehrendes und sehr eindrucksvolles Schauspiel statt. Die Kühe aus dem Dorf wurden am Morgen auf die „Hutwad“ getrieben. Am Abend kamen sie alleine wieder zurück, wie von Zauberhand geführt. Ohne fremde Hilfe fanden sie zielsicher ihren Weg nach Hause, sogar bis in ihren Stall.
Morgens hörte ich schon von Weitem das Horn des Kuhhirten und rannte neugierig auf die Straße. Dieses Ereignis wollte ich mir nicht entgehen lassen, da musste ich unbedingt dabei sein. Das Bimmeln der Kuhglocken, die Hirten mit ihren langen Stöcken, die kleinen herumtollenden Kälber, und die vor sich hin trottenden Kühe nahmen meine Aufmerksamkeit gefangen. Die Herde wurde immer größer, nach und nach kamen die Tiere aus den Toren. In einem langen Zug folgten die Kühe einem scheinbar unsichtbaren Pfad. Manche ließen mehr Abstand, manche drängten sich ganz nah aneinander.
Zur Abendstunde kehrten die Tiere von der Weide zurück. Es beeindruckte mich jedes Mal, dass sie vor dem richtigen Tor stehen blieben. Ruhig und gelassen warteten sie, bis jemand ihnen öffnete.
Dieses Spektakel konnte ich jeden Abend sogar aus nächster Nähe verfolgen. Direkt gegenüber von meinem Elternhaus wohnten meine Großeltern väterlicherseits. Diese hatten eine Milchkuh, ein großes, schwerfälliges, weiß-schwarz geschecktes Tier. Namen gab man im Dorf den Kühen nicht, ich aber nannte Omas Kuh „Lambi“. Das Tor stand abends immer offen, und „Lambi“ trottete in ihren Stall.
Fasziniert sah ich zu, wie meine Oma sich auf ihren dreifüßigen Schemel setzte und mit dem Melken begann. Die schaumige und dampfende Milch füllte schnell den Eimer. Milch die nicht für die Familie benötigt wurde verkaufte meine Oma an Leute aus dem Ort. So kamen jeden Abend zur gleichen Zeit Dorfbewohner mit ihren Milchkannen, um ihre vorbestellte Milch abzuholen. Das war spannend für mich, da sie auch mit mir, dem kleinen Mädchen sprachen, ich gehörte ja schließlich ins Haus meiner Großeltern. So wusste ich immer, was im Dorf los war.
Nur eine Sache war schwierig. Diese hat sich auch leider nie geändert: Ich mochte und mag keine frisch gemolkene Milch. Meine Oma hat es immer gut gemeint und mir die Milch gleich nach dem Melken angeboten. Ich konnte diese aber einfach nicht trinken. Es schüttelte mich, wenn ich die warme Milch in der Hand hatte und der Geruch in meine Nase stieg. Die Stimme meiner Mutter erlöste mich oft davon, die Milch trinken zu müssen. Das Abendessen war fertig, ich musste nach Hause.
So gingen manche Tage viel zu schnell zu Ende. Müde von all den Erlebnissen nahm ich mir oft vor dem Einschlafen fest vor, am nächsten Tag wirklich mutig zu sein: „Morgen, da traue ich mich. Ich gehe ganz alleine auf die „Hutwad“ …
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