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Über Pracht und Macht der Tracht


Es scheint so zu sein, dass Tracht mit Menschen etwas macht. Diese Tatsache ist erstaunlich, leitet sich das Wort doch aus dem mittelniederdeutschen "dracht" und bedeutet lediglich "das, was getragen wird". Doch das, was man als Gemeinschaft auf dem Leib trägt, hat es offenbar in sich.

Früher waren Trachten Ausdruck einer meist ländlichen Gesellschaft und eines Lebens in dieser Gesellschaftsordnung. Inzwischen haben sich die Dinge grundlegend geändert.


Obwohl es jahrzehntelang kein Thema für mich war, kam ich schließlich zur Banater Tracht durch meine Tochter. Sie hatte sich als kleines Mädchen auf einer Veranstaltung der Banater Tanzgruppe München für die prächtige Kirchweihtracht begeistert. Seitdem steht sie auf diese besondere Tracht und wir setzen Himmel und Hölle in Bewegung, um ihr das seltene und wertvolle Gewand zu beschaffen. Man kann eine Banater Tracht nicht wie ein Dirndl im Kaufhaus erwerben. Um an eine zu kommen, kann man sie entweder ausleihen, Second Hand kaufen und falls es nicht anders geht auch mal maßschneidern lassen. Ein bisschen so, wie es früher mit der Mode zu Zeiten des Kommunismus gewesen ist.


So kamen wir zur Banater Tanzgruppe München. Müsste man die Trachten und deren Trägerinnen und Träger beschreiben, kann man sagen: Es herrscht Vielfalt in puncto Herkunft. In fast jeder Familie der teilnehmenden Kinder hat nur ein Elternteil banat-schwäbischen Hintergrund. Es gibt auch Mitglieder rumänischer Herkunft und Bayern, die mittanzen, jeder ist willkommen. Die Trachten, die getragen werden, stammen daher nicht mehr unbedingt aus dem Herkunftsort der Teilnehmenden, sondern aus verschiedenen Ortschaften des Banats wie z.B. Bakowa, Johannisfeld, Jahrmarkt oder Guttenbrunn. Bei Auftritten wird daher durch Gemeinschaftstänze die ganze Pracht der Banater Trachten vorgeführt.


Im Banat wiederum wurden in vielen Ortschaften, in denen früher mehrheitlich Banater Schwaben gelebt haben, schwäbische Tanzgruppen gegründet. Obwohl die meisten Deutschen ausgewandert sind, ist die alte Tradition der Kirchweih geblieben. Das ist nur dadurch möglich, dass die dort lebenden rumänischen Kinder und Jugendliche wie auch ihre Eltern sich in großer Zahl für die schwäbischen Tänze, Trachten und Bräuche begeistern. Der schwowische Kerweihbrauch ist auch bei den Rumänen so beliebt, dass das Wort als Lehnwort in die rumänische Sprache Eingang gefunden hat und als 'kirvai' bezeichnet wird. Die Mitwirkenden dieser 'kirvaiuri' werden kundig mit nach überlieferten Vorbildern eingekleidet, wobei möglichst vielen Partizipation ermöglicht wird. Angeleitet werden sie von Angehörigen der zahlenmäßig geringen, doch sehr engagierten deutschen Minderheit in Temeswar und den Dörfern.


Betrachtet man die banatschwäbische Brauchtumspflege hüben wie drüben, ergibt sich ein Bild der Vielfalt: Junge Menschen bundesdeutscher Herkunft feiern die Kerweih genauso wie in Rumänien verbliebene Banater Schwaben und Rumänen. Ungarn, Bulgaren, und verschiedene andere Nationalitäten des Banats schließen sich an und bilden eine Gemeinschaft. Sie tun es unentgeltlich und freiwillig im Zeichen der europäischen Einheit. Diese jungen Leute leben die europäischen Werte wie Verständigung, Offenheit und Toleranz durch gemeinsamen Teilnahme an den jeweiligen Traditionen.


Das rumänische Trachtengewand Ie gilt in Rumänien und Moldawien als Kulturgut und ist in die Repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit der UNESCO aufgenommen worden. Gleiches wäre auch für das Phänomen der banat-schwäbischen Kerweih, das größte traditionelle Fest im Jahresablauf der Banater Schwaben berechtigt.

Zum Wesen der Tracht kann man hinzufügen, dass es heute nicht nur ein Gewand ist, das gemeinschaftlich getragen wird, sondern dass es durchaus eine Rolle spielt, wer drin steckt. Vor allem darf man nicht dem Trugschluss erliegen, dass die Tracht selbst mit einer bestimmten rechten politischen Einstellung einhergeht.

Seit den neunziger Jahren gibt es ein interessantes Revival der Tracht als breiten Trend, das man zum Beispiel auf dem Münchner Oktoberfest beobachten konnte. Erklärt wird dieses Phänomen durch die Globalisierung, die wohl eine Rückbesinnung auf regionale Identität zur Folge hatte.

Der von Nazis verfolgte Schriftsteller Oskar Maria Graf nahm seine bayerische Lederhose ins Exil in die USA mit.

Als er im Jahr 1958 erstmals wieder nach Bayern zurückkehrte, gab es einen Skandal, als er darauf bestand, in Tracht zur Lesung ins Münchener Cuvilliestheater zu kommen.


Der Temeswarer Stadtschreiber hingegen versteht das Faible für Trachten gar nicht, findet es gar befremdlich und löst damit auch einen Eklat aus. Ein Blog des Stadtschreibers, der vorher kaum Beachtung gefunden hat, stehen plötzlich durch ablehnende Äußerungen über Tradition und Tracht im Fokus der Aufmerksamkeit. Sein Text, in dem komplexe Phänomene wie die Kultur einer Minderheit und Multiethnizität oder hoch aufgeladene Themen wie Nationalsozialismus und sexuelle Orientierung extrem flapsig-verkürzt behandelt und nur durch eingestreute Schlagworte anzitiert werden, wird den angesprochenen Themen und Problemen zwangsläufig nicht gerecht. Es mag eine subjektive literarische Beurteilung sein, poetisch angehaucht. Es mag zum Konzept des Blogs des Stadtschreibers gehören, dass von außen auf die multiethnische Stadt Temeswar, das Banat und seine Bevölkerung geblickt wird.

Doch die Perspektive, in der geschrieben wird, ist nicht auf Augenhöhe mit den Menschen, die in den Blick genommen werden. Zu Recht verwehren sie sich dagegen und auch meinen Beitrag möchte ich in diesem Sinn verstanden wissen.


Es gibt einen alten rumänischen Brauch, durch den man das, was einem lieb und teuer ist, vor einem schrägen Blick bewahrt. Man bindet denjenigen, die man schützen möchte, eine rote Schnur um das Handgelenk.

Auch im Kerweihstrauß, der Ausdruck für die Lebensfreude ist, die mit diesem Fest verbunden ist, sind von je her rote Bänder befestigt. Seltsame Blicke wird es immer geben, doch sie haben keine Macht.


Ein Spruch, der für die Habsburger geprägt wurde, unter deren Herrschaft unsere Vorfahren eingewandert sind, lautet: "Tu felix Austria nube (du glückliches Österreich heirate)" In dessen Abwandlung möchte man im Hinblick auf die geplanten "Kerweihen" wünschen: "Du glückliches Banat feiere!" “Es lebe die Kerweih!"


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