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AutorenbildEva Filip

Was ist Heimat?


Die gute Stube - Aquarell von Stefan Jäger ... Omas Bettdecken, die über hoch aufgetürmten Federbetten lagen...

Heimat Du kleiner Ort, wo ich das erste Licht gesogen, den ersten Schmerz, die erste Lust empfand, sei immerhin unscheinbar, unbekannt, mein Herz bleibt doch vor allen dir gewogen, fühlt überall zu dir sich hingezogen, fühlt selbst im Paradies sich noch aus dir verbannt.

Christoph Martin Wieland (1733 - 1813)


Warum schreibt man ein Heimatbuch nach mehr als 20 Jahren, nach dem der Heimatort, zumindest geographisch gesehen, aufgehört hat, Heimat zu sein. Da muss es doch etwas geben, was rational nicht erklärbar ist, etwas das tief im Innern verankert ist. Was aber ist das? Was ist Heimat?

Kein Begriff wurde jemals mehr durchleuchtet als Heimat und keiner ist nach wie vor weniger fassbar, weniger definierbar. Geschichtlich gesehen lässt er sich bis in die germanische Zeit verfolgen. Das Wort Heimat stammt aus dem germanischen Wort haima, haimi, das zu hämatli wurde und schließlich im Neuhochdeutschen zu Hei-mat. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts war es ein nüchternes Wort, das hauptsächlich im geographischen und juristischen Sinn in den Amtsstuben gebraucht wurde. Bis dahin bezog sich Heimat hauptsächlich auf Land und Hof. Wenn der älteste Bauernsohn den Hof übernahm, hieß es in einigen Regionen Deutschlands: „Er kriegt die Heimat.“


Die Brüder Grimm bringen 1877 in ihrem Wörterbuch unter dem Stichwort Heimat folgende Definition:

1. „das land oder auch nur der landstrich, in dem man geboren ist oder bleibenden aufenthalt hat" 2. „der geburtsort oder ständige wohnort" 3. „selbst das elterliche haus und besitzthum heiszt so, in Baiern."


Interessant ist auch die Definition, die im Brockhaus zu finden ist:

„Im allgemeinen Sprachgebrauch ist Heimat zunächst auf den Orl (auch als Landschaft verstanden) bezogen, in den der Mensch hineingeboren wird, wo die frühen Sozialisationserlebnisse stattfinden, die weithin Identität, Charakter, Mentalität, Einstellungen und schließlich auch Weltauffassung prägen.”


Lässt man aber Menschen zu Wort kommen, überhaupt jene, die ihre Heimat verloren haben, so gewinnt die Heimat eine ganz andere Dimension, nämlich affektive. Heimat wird dann zum Zielort der allgemeinen Sehnsucht, ein Ort der Erinnerung an Menschen, Gefühle, Ereignisse, Sprache, Rituale, Landschaft, Tradition, Architektur, Farben und Gerüche...

Jeder Mensch braucht eine Heimat, einen Ort, wo er sich geborgen fühlt, und sei es auch nur ein geistiger Ort, wie Sprache oder Religion. Halt aber findet er, wenn er seine Wurzeln kennt. Wurzeln sind der Anker auf der Suche nach Identität.

Wenn Einzelne die Heimat verlassen, und das geschieht in unserer globalisierten Welt immer mehr, so können sie doch immer heim kommen und finden alles mehr oder weniger beim Alten. Was aber, wenn eine ganze Volksgruppe die Heimat verlässt und man findet bei der Rückkehr nur noch fremde Menschen? Der Schriftsteller Rupert Schützbach, der das Schicksal des Fremdseins selbst erlebt hat, sagte: „Fremd sein in der Fremde ist hart, fremd sein in der Heimat grausam.

Der Verlust der Heimat wird zum Schmerz. Man möchte sie festhalten, jene Heimat so wie sie war, damals als sie noch nicht fremd, sondern vertraut war, als man sich geborgen fühlte, weil man alle Menschen kannte, die Verwandten, Bekannten und Freunde immer wieder traf, alle Wege und Stege heim führten. Diese Heimat aber gibt es für uns nur noch in der Erinnerung. Sie war bestimmt nicht das Paradies. Hart hatten unsere Ahnen mit dem Flecken Erde gekämpft, um ihn fruchtbar zu machen und die Geschichte hat ihnen nichts erspart. Schwere Arbeit, Kriege, Gefallene. Russlanddeportierte, totale Enteignung, Entrechtung. Die folgenden Kapitel sollen diese Geschichte bekannt machen.


Sentlein war kein Paradies, und doch... Man kannte den Klang der Kirchenglocken, wusste, wie die Feste gefeiert werden, die Gassentüren waren offen und wenn ein Haus gebaut wurde, waren viele helfende Hände zur Stelle. Wurde ein Neugeborenes von dem Paten und der Patin durch das Dorf zur Taufe getragen, so standen die Leute Spalier und winkten dem neuen Erdenbürger freudig zu. Wer nicht zur Hochzeit geladen war, ging wenigstens „Hochzeit schauen" und wenn jemand starb, so begleitete ihn das ganze Dorf auf seinem letzten Weg. Sentlein war ein kleines Dorf, in dem Menschen aus drei und mehr Nationen miteinander auskommen mussten. Es gab Konflikte und auch Zeichen von Menschlichkeit in schweren Zeiten.


Sentlein war kein Paradies, aber dennoch etwas ganz Besonderes. Heimat. Zu Hause kann man überall sein, dort wo man, wie der Begriff es schon sagt, ein Haus hat. Mit der Heimat ist es komplizierter. Für mich ist Heimat etwas, das tief im Innern geborgen ist, unantastbar, unzerstörbar. Es kann ein Zustand sein, oder ein Wort, oft nur ein Duft, der mich augenblicklich in jenes kleine Dorf trägt, wo alles begann und das ich als Heimat begreife. Manchmal sehe ich mein Elternhaus detailgetreu vor mir, spüre noch unter den Fingern das eingewebte Blumenmuster auf Omas Bettdecken, die über hoch aufgetürmten Federbetten lagen, Decken, die es längst nicht mehr gibt. Manchmal steigt mir der unverwechselbare Duft der reifen Aprikosen vom Baum, der in unserem Hof stand, in die Nase oder jener reifer Tomaten, gepflückt vom Stock in der prallen Banater Sonne und gekühlt in einem Eimer mit Brunnenwasser. Die Wiese zwischen Sentlein und Fakert roch wie keine andere Wiese auf dieser ganzen großen Welt, und wenn im Frühling der Wind durch die Fliederbüsche fuhr, die den Fakerter Friedhof säumten, trug er das Parfüm dieser herrlichen Blüten bis in unser Dorf.

Die Kirche, sie steht unverrückbar in meinem Heimatbild, die Kirche mit dem Kreuz vor dem Eingang und dem großen Lindenbaum. Tief eingeprägt bleibt mir das Altarbild mit dem Heiligen Antonius. Die Bilder der Stationen an den Seitenwänden unserer kleinen Kirche haben mich tief beeindruckt und berührt. Sie sind mir gegenwärtig auf jedem Kreuzweg, den ich gehe.

Und die Akazien! Der Akazienduft aus dem Sentlein meiner Kindheit begleitet mein Leben wie ein Hauch Heimat, süß und vertraut.


Aus Heimatbuch Sentlein im Kreis Arad

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