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Querbeet durch die Geheimnisse des Glücks


Das Experiment Gemüsegarten


Kaum ein Phänomen ist auf der Welt so gut erforscht wie der Weg zum Glück. In Deutschland füllen zahlreiche Regalmeter mit immer neuen Glücksformeln die Buchhandlungen. Und diese Expertenliteratur scheint auch nötig zu sein, denn wären die Leute einfach glücklich, bräuchten sie diesbezüglich keine Ratgeber. Dazu passt, dass die Deutschen im World Happiness Report der Vereinten Nationen, im internationalen Glücksvergleich im Jahr 2024 von Platz 16 im Vorjahr auf Platz 24 zurückgefallen sind. Die düstere weltpolitische Situation allein kann dafür nicht der Grund sein, denn Deutschland liegt im Ranking weit hinter Israel, das zur Zeit wahrlich gebeutelt ist. 


Im europäischen Vergleich sieht es, was das persönliche Glücksgefühl der Deutschen betrifft, sogar noch schlechter aus. “Germany zero points” wird es im “Eurovision Happiness Contest" bald heißen, wenn die Tendenz nach unten so weiter geht. Denn laut den Daten des europäischen Statistikbüros Eurostat liegt unser Land zur Zeit europaweit an vorletzter Stelle nur knapp vor dem Schlusslicht Bulgarien. Auf Platz eins befindet sich Österreich, was auf den ersten Blick überrascht, denn im internationalen Vergleich stehen die Skandinavier, allen voran Finnland, fest auf dem Siegerpodest. Doch “felix Austria”, die geflügelten Worte von früher, haben offenbar immer noch Gültigkeit. Für die größte Überraschung für die Statistiker und sicher auch für die europäische Öffentlichkeit sorgte jedoch Rumänien, das sich mit Finnland und Polen das Treppchen des zweiten Platzes teilt.


Zwischen dem vorletzten Platz und dem zweiten Platz im Bruttonationalglück liegen für uns gerade mal zehn Stunden Fahrzeit mit dem Auto unter dem weißblauen Himmel zwischen München und Paulisch. Wie in jedem Frühling fuhren wir auch heuer aus dem Bayernland ins Banater Domizil an den Weinbergen, in dem zu dieser Jahreszeit unser Grundstück aus dem Winterschlaf erwacht. 

Den Winterblues noch in den Knochen und das Buch “Glücksweisheiten aus aller Welt” im Gepäck, war uns noch nicht klar, dass wir ganz praktisch erfahren würden, was es mit dem guten Abschneiden Rumäniens in Punkto Lebenszufriedenheit auf sich hat.

Wir hatten nämlich ein Experiment ganz anderer Art vor, dessen Ausgang ungewiss und dessen Gelingen abhängig von der tatkräftigen Mithilfe von Nachbarn und Freunden war. Wir wollen unseren Garten wieder bearbeiten. Aus Unkraut und Dornen sollen fruchtbare Gemüsebeete entstehen. Wir ahnten vorher nicht, dass sich bei der Verwirklichung des Experiments Gemüsegarten Glückstheorie und -Praxis wunderbar verbinden würden.


Nach einigen Telefonaten, in denen wir Ausreden zu hören bekamen, wonach der Boden zu hart und voller Steine und die eigenen Geräte zu schwach seien, fanden wir Iulian. Er war so liebenswürdig, sogar nach Feierabend mit seinem “motocultor” vorbei zu schauen. Schnell und fachkundig ackerte er den Grund und schuf die Basis für das Versuchsbeet mit den Ausmaßen von 30m×10m. Ich assistierte und wir redeten. Auf meinen Dank für seine Mühe, erklärte der ca. 40-Jährige: “Ich habe wie viele meiner Generation 20 Jahre lang in mehreren Ländern Europas gelebt und gearbeitet, wo ich Verlässlichkeit und Korrektheit zu schätzen gelernt habe. Von dort habe ich, ins Land (în țară) zurückkehrt, diese neue Mentalität mitgebracht.” Er erzählte, dass Rückkehrer wie er ein anderes Arbeitsethos sowie Vertrauen und Verlässlichkeit nach Rumänien brächten. Glücklich, wer so jemanden zur Zusammenarbeit findet!


Da ich es ablehne Unkrautvernichter zu verwenden, begann ich am nächsten Tag die Wurzeln der Quecken, die auf rumänisch “pir” heißen und aufgrund ihrer Unverwüstlichkeit bei Gärtnern berüchtigt sind, mit dem Rechen herauszuziehen. Der Boden sah schon sehr vielversprechend aus, aufgelockert, ohne Steine und von fruchtbarer, dunkelbrauner Farbe. Ich stellte mir vor, wie schon meine Vorfahren ihn bearbeitet hatten und hatte auf einmal das Gefühl, dass sie mir über die Schulter schauten. Wie schafften sie das nur tagaus tagein über die Jahre? Ich stellte bald fest, dass diese Arbeit äußerst anstrengend war, was mich aber nicht abschreckte, sondern mit Ehrgeiz erfüllte, ans gesetzte Ziel zu gelangen. Sicher würden sich meine Urgroßeltern, die vor hundert Jahren vielleicht an der gleichen Stelle die lehmigen Schollen bearbeiteten, sich freuen, mich hier schwitzen zu sehen. 

Im Buch der Glücksweisheiten aus aller Welt erfahre ich vom aus Finnland stammenden Lebensgefühl “Sisu”, das mit Kraft, Durchhaltevermögen, Entschlossenheit zu beschreiben ist. Glück bedeutet nicht, ein Leben ohne Hürden und Anstrengungen zu haben, sondern diese zu überwinden.


Am Nachmittag kam Verstärkung durch meine Freundin und Nachbarin Anna-Maria. Wir “rechelten” das ganze Beet nochmal zu zweit ordentlich durch und entfernen noch viele “Pir”-Wurzeln. Dennoch blieb die eine oder andere noch im Boden, wodurch regelmäßiges Jäten notwendig werden würde. Anna Maria versprach mir, sich in unserer Abwesenheit darum zu kümmern.

Ich stellte fest, was es für ein riesiger Unterschied war, ob man alleine vor sich hin arbeitete oder sich zu zweit die Arbeit teilte. In Gesellschaft ging es nicht nur viel leichter von der Hand, die gemeinsame Anstrengung war geradezu beglückend. Ins Gespräch vertieft ging das Hacken leichter von der Hand. Ein Grund, warum die Menschen in Rumänien glücklicher sind, ist wohl, dass Nachbarschaft und Gemeinschaft noch einen hohen Stellenwert haben und die Menschen viel mehr miteinander sprechen.


Anna-Maria hatte Erdbeersetzlinge mitgebracht und auf dem Markt hatte ich Samen für Karotten, Bohnen, Erbsen, Rote Beete und Sellerie gekauft. Während wir alles einpflanzten erinnerte ich mich daran, wie ich als Kind meinem Großvater geholfen hatte Reihen zu ziehen. Damit sie wie mit dem Lineal gezogen aussahen benutzte er eine an zwei Pflöcke gebundene Schnur, die von einem Ende des Beetes zum anderen gespannt wurde. An so ein Utensil hatten wir Anfänger natürlich nicht gedacht und so zogen wir die Linien frei und auch etwas krumm. Zum Trost fiel mir das Motto des Englischen Gartens ein. “Natur pflanzt nicht nach der Schnur” hieß es damals und wurde zur Philosophie des englischen Garten- und Landschaftsbaus.


Im Glücksbuch steht dazu eine Weisheit aus dem Zen-Buddhismus. “Wabi-Sabi” feiert die Schönheit des natürlichen und unvollkommenen. Das Leben besteht nämlich nicht nur aus Perfektion und den Brüchen und Unebenheiten sollten wir gelassen begegnen. Auch den nicht ganz geraden Pflanzreihen, die für mich unperfekt perfekt sind.


Am nächsten Tag halfen auch Benno und Vicky mit: Benno zog die Reihen mit der Hacke, Vicky setzte die Kartoffeln hinein. Wenn man sich aus seiner Komfortzone begibt und ungewohnte Arbeiten verrichtet, ist es zunächst hart. Bald stellt sich aber ein Gefühl der Zufriedenheit ein. Sogar Benno verließ seinen Platz am Schreibtisch gerne und entdeckte die Freude am Leben, an Luft, Licht und Sonne. Nach Stunden voller Aktivität im Garten konnte er mit frischer Tatkraft wieder an seinen Arbeitsplatz im Haus zurückkehren. 

Die Norwegische Philosophie “Friluftsliv” drückt genau das aus, nämlich, dass der möglichst lange Aufenthalt in der frischen Luft dazu dient, den Kopf frei zu bekommen und neue Energie zu tanken.


Im Bildhintergrund sieht man Grün, die noch grasbewachsene, brach liegende Fläche. Wenn unser Experiment gelingt und wir tatsächlich eigenes Gemüse ernten werden, ließe sich diese Nutzfläche noch erweitern. 

“Nicht jage nach dem Glück, erring’ es langsam Stück für Stück…", schrieb mir vor über vierzig Jahren eine Freundin ins Stammbuch, dem Glücksratgeber der damaligen Zeit. Schritt für Schritt (“pas cu pas”) möchten wir auch den Garten wieder bearbeiten.


Es gab auch Rückschläge. In der zweiten Nacht büchsten unsere Hunde aus dem unbearbeiteten Teil des Gartens aus und gruben, weil sie auch ihren Teil zum  Gartenexperiment beitragen wollten, die frisch gepflanzten Erdbeeren links im Bild wieder aus. Ich war außer mir, als ich es entdeckte und jammerte ins Telefon, Anna-Maria tröstete mich: “Nu-i bai! Das macht nichts, ich bringe euch Neue, wir pflanzen sie nochmal!” 

Das Glücksbuch sagt, in Dänemark gäbe es das Lieblingswort: Pfyt, was soviel wie “das ist nicht so schlimm” bedeutet. Ein Zischlaut, der eine ganze Lebensphilosophie beinhaltet, in der es darum geht, sich nicht über Kleinigkeiten aufzuregen. 

In Rumänien gibt es diese Einstellung auch und sie wird eben durch die  Worte nu-i bai! ausgedrückt. Auch Vicky kennt sie und jedes Kind in Rumänien und lernt dadurch einen gelassenen Umgang mit Stress.


Während unseres Beetanlegens, das sich als wahres Glücksexperiment erwies, gab es immer auch Pausen und Zeit für meine geliebten Hunde. 

Mein ganz persönliches Glücksgeheimnis teile ich ausgerechnet mit einem Nomadenvolk am anderen Ende Europas. Nach dem Glauben der Inuit haben auch Tiere Seelen und alles in der Natur ist miteinander verbunden. So entsteht ein beglückendes Gemeinschaftsgefühl, das in der Sprache der Inuit “Piliriqatigiinniq” genannt wird. Es bedeutet, dass jeder dazu beitragen sollte, dass es Mensch, Tier und Natur gut geht. Damit wird die Basis für ein glückliches Miteinander gelegt, für eine Verbundenheit mit der gesamten Schöpfung.  


Ob unser Experiment gelingen wird, die in den Boden gelegten Samen keimen, die Pflanzen wachsen und uns eine Ernte bescheren werden, ist ungewiss. Wie die kleine Maus Frederick aus dem berühmten Kinderbuch von Leo Lionni, das ich wie viele Eltern meinen inzwischen erwachsenen Kindern oft vorgelesen habe, sammelten wir in diesem Frühling in Paulisch Sonnenstrahlen, Farben und Wörter, die unser Leben bereichern. 

Die Deutschen könnten sich an diese Geschichte von Frederick, der für graue Tage Träume und Hoffnungen sammelt, erinnern. Dann würde es mit dem positiven Lebensgefühl auch wieder besser funktionieren.

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