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Die Welt war voller Mythen

Eine Tour von den Mythen, die im Umkreis von Radna erzählt wurden, in die Villa Stuck nach München und wieder zurück zu einem Bild des Banater Malers Franz Ferch.

In der Bildmitte befinden sich ein Faun und eine Nymphe, mythologische Wesen, die sich miteinander vergnügen.

Als Kind auf dem Dorf waren entweder die gleichaltrigen Spielkameraden interessant, oder die alten Leute. Frauen mit langen dunklen Röcken, Schürzen und Kopftüchern. Oder Männer in zerbeulten Hosen mit Hosenträgern und zerknitterten Hemden, im Sommer durch Hüte gegen die starke Sonne oder im Winter durch Fellmützen gegen die Kälte geschützt. Die konnten und wollten schaurig schöne Geschichten erzählen.

Von der Lissi-Tante, der Schwester meiner Großmutter, die damals im Paulischer Haus schaltete und waltete, habe ich zum Beispiel vom Prikulitsch (Priculici) erfahren, einem Wesen, das sich nachts nach drei Purzelbäumen in einen Hund verwandeln konnte, der bei Vollmond durch das Dorf rannte. Leuten, die spät nachts unterwegs waren, sprang er so auf den Rücken, dass sie ihn nicht abschütteln konnten und umhertragen mussten. Bei dem Prikulitsch handelt es sich eigentlich um eine Kreatur aus der rumänischen Mythologie, um einen harmlosen Verwandten des Werwolfs, von dem offensichtlich auch die Deutschen im Dorf fasziniert waren. Für uns Kinder war diese Sagengestalt harmlos und wenig beängstigend. Oft genug versuchten wir selbst drei Rollen vorwärts und probten die Verwandlung.

Schlimmer war da schon die Sache mit den "Trutta" oder Druden, wie man hochdeutsch sagen würde. Sie schlüpfen nachts durchs Schlüsselloch ins Zimmer und setzen sich den Leuten auf die Brust, so dass ihnen die Luft ausgeht. Da ich als Kind schon Asthma hatte, wusste ich wie sich Atemnot anfühlte. Von den Druden wollte man nicht heimgesucht werden und ich war froh, dass im Schlüsselloch des Schlafzimmers immer ein Schlüssel steckte.

Der Großvater erzählte die Geschichten vom Sterngucker und vom Goldmacher, denen es schlecht ergangen war. Deswegen sollte man am besten nicht zu lange zum nächtlichen Himmel blicken oder gottgleiche Allwissensansprüche hegen, denn das brachte Pech, mahnte Opa. Dabei war der Sternenhimmel in Paulisch durch die fehlende Straßenbeleuchtung so atemberaubend schön, dass man einfach hinsehen musste.


Meine Fantasie haben diese nur mündlich tradierten Geschichten der Alten außerordentlich beflügelt. Ich habe eine Vorliebe für alles was mit Mythologie zu tun hat. Im Rahmen meiner Gästeführer Tätigkeit in München hatte ich bald die Bilder des Malers Franz von Stuck für mich entdeckt. In der Villa Stuck, seinem ehemaligen prächtigen Wohnpalast, in dem heute die Werke zu bewundern sind, wurden Bilder wie "Die Sünde", "Der Wächter des Paradieses" oder "Die Wippe" schnell zu meinen Favoriten. Stuck, geboren 1863 in Niederbayern und aus einfachen Verhältnissen stammend, stieg in München schnell durch sein Talent und sein Gespür für den Zeitgeist zum erfolgreichen Malerfürsten auf. Seine Werke, die dem Symbolismus und damit im weiteren Sinne dem Jugendstil zuzurechnen sind, greifen Themen aus der antiken Mythologie auf. Oft malte er auch Fabelwesen wie Nymphen, Faune und Zentauren. Erotik war dabei ein zentrales Thema seiner Malerei. In der Villa Stuck war auch ein riesiges Atelier untergebracht, wo, bis zu seinem Tod im Jahr 1928, zahlreiche und sündhaft teure Werke entstanden. Diese wurden häufig von Schülern unter seiner Anleitung ausgeführt.


Der Banater Maler Franz Ferch studierte in den Jahren 1925-1927 bei Stuck in München. Im Katalog zur Ausstellung 2018 von Peter Krier und Hans Rothgerber fiel mir sofort ein besonderes Bild auf. Es trägt dort den Titel Hexentanz und datiert auf das Jahr 1926. Der Einfluß Stucks in dem Gemälde ist unverkennbar, sowohl bei der Farbigkeit, den hell-dunkel Kontrasten und vor allem bei dem dargestellten Motiv. In der Bildmitte befinden sich ein Faun und eine Nymphe, mythologische Wesen, die sich miteinander vergnügen. Genau genommen stürzt sich der dunkel behaarte bocksbeinige Wüstling auf seine hellhäutige und rothaarige "Beute", der diese Art der Annäherung offensichtlich Spaß macht. Beide grinsen den Betrachter in frivol-erotischer Pose an. Es ist das einzige Bild im Ausstellungskatalog von 2018 mit explizit erotischem Kontext.

Welches Geheimnis birgt dieses Bild? Es tanzt im Werk Ferchs un-/gehörig aus der Reihe. Das Gemälde ist wohl in München entstanden. Es wurde laut Katalog von Annemarie Podlipny-Hehn (1975) in Temeswar im Jahr 1927 ausgestellt. War Temeswar damals offen für solche Kunst oder hatte es der junge Künstler nach der Ausstellung nach München zurückgebracht und dort veräußert? Heute befindet es sich jedenfalls wieder in der bayerischen Landeshauptstadt.

Mir kam es auf den ersten Blick wie ein echter Stuck vor. Wie sehr der Münchener Meister dem "Zauberlehrling" aus dem Banat den Pinsel geführt hat, zeigt auch die Signatur. Ferch zeichnet exakt wie der Malerfürst. Er setzt in Großbuchstaben Vor- und Nachnamen mit der Jahreszahl zu einem Quadrat untereinander. Besonders ähnlich wirkt die Unterschrift durch den gleichen Vornamen, Franz und den Nachnamen, der bei beiden aus 5 Buchstaben besteht. Diese Signatur benutzte Ferch wohl nur in den 20-er Jahren unter dem Münchener Einfluss. Danach änderte sich nicht nur die Unterschrift komplett.

Ins Banat zurückgekehrt wandte sich Ferch anderen Stilrichtungen zu. Der Mythos war aus der Bilderwelt des Banater Malers Franz Ferch wohl für immer verschwunden.

Franz von Stucks auf Holz gemaltes Bild „Faun und Nymphe" (vor) 1893.

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