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Adam und Eva in Blaşcovici


Unter dem Baum der Erkenntnis

In Temeswar liegt zwischen den Eisenbahnlinien des Nordbahnhofs und dem Stadion der Fußballmannschaft CFR, eingekeilt das Stadtviertel namens Blaşcovici, eine ehemalige Arbeiterkolonie, die auf fruchtbarem Boden eines trockengelegten Sumpfes entstanden war. Dort befand sich in der Strada Costineşti in den 70er Jahren ein Kindheitsparadies. Es handelte sich um einen Garten, der das Reich meines Großvaters war. Darin gab es alles, was für einen wahren Garten Eden vonnöten war.

Man betrat ihn zwar nicht durch eine imposante Pforte, sondern durch eine kleine, leicht knarrende Holztür. Auch die Größe war überschaubar und keineswegs unendlich, wenngleich mir die grüne Oase damals riesig vorkam. Das Grün empfing den Besucher am Eingang in Form von vier hohen Kastanienbäumen, die ihre Äste schützend und Schatten spendend über Haus und Vorgarten ausbreiteten. Mit den Kastanien konnte man im Herbst wunderbar spielen! Es gab neben der Einfahrt zur kleinen Garage aber auch sonnige Plätze, wo verschiedenfarbige Rosen und duftende Pfingstrosen wuchsen. Ging man den schmalen Weg am Haus entlang, befand sich rechts ein langes Spalier mit Weinreben. Darunter blühten im Frühling die ersten Blumen, Primeln, Veilchen, Hyazinthen und Tulpen. Natürlich wuchsen dort auch die obligatorischen Schneeglöckchen, im Kindergarten oft gemaltes Symbol des Frühlings.


Neben dem Haus hatte der Großvater Gemüsebeete angelegt, nachdem er Parzellen durch Schnüre abgesteckt hatte. Dazwischen gab es jeweils kleine Wege, auf denen man entlanglaufen und sich ansehen konnte, wie Radieschen, Salat, Tomaten, Paprika, Kartoffeln und vieles mehr wuchsen. Etwas abseits vom Gemüse war das Erdbeerbeet, im Mai leuchteten dort aus dem grünen Blattwerk die sonnengereiften roten Früchte.

Doch damit nicht genug. Im Garten kreuchte und fleuchte es auch, denn der Großvater hatte auch Bienenstöcke angeschafft, er war Imker. Die Bienen waren direkt vor Ort, um in den zahlreichen Blüten Pollen zu sammeln, im Herbst wurde dann goldfarbener flüssiger Honig, gleich der Götterspeise Ambrosia kalt geschleudert.

Als er gesehen hatte, dass es gut war, hatte mein Großvater auch alle möglichen Obstbäume gepflanzt. Da gab es einen Kirschbaum, der große Herzkirschen hervorbrachte, Pfirsiche mit riesigen süß-saftigen Früchten, einen Baum mit kleinen köstlichen Aprikosen, einen Mostbirnbaum.


In dieser Idylle entstand Mitte der siebziger Jahre ein Foto, das einen Jungen und ein Mädchen im Vorschulalter zeigt. Sie stehen unter dem blühenden Weichselbaum im Hof und schauen glücklich in die Kamera. Wie eine kindliche Version von Adam und Eva sehen sie aus, als sie ihr sorgloses Spiel kurz unterbrechen, um für dieses besondere Foto zu posieren.

Es zeigt das ganze Glück der Kindheit: zwei beste Freunde, Nachbarskinder, die sich gefunden haben und sich zusammen alle Zeit der Welt nehmen um zu spielen, zu spielen und zu spielen. Der blonde Junge strahlt in die Kamera, das dunkelhaarige Mädchen blickt amüsiert und verschmitzt. Die nackten Arme und Beine der Kinder sind der Frühlingssonne ausgesetzt, denn sie tragen beide kurzärmelige Blusen und kurze Hosen. Auch die kleine "Eva" ist wie ein Junge gekleidet, und gendergerecht nicht als Mädchen zu erkennen. Paradiesische Zustände, denn das Geschlecht spielte für ihre Spiele keine Rolle, als Spielsachen dienten Stöcke und Steine. Geklettert wurde auf Bäumen, bevorzugt auf besagtem Weichselbaum, dessen Äste niedrig genug waren um sich daran hoch zu schwingen.

Lauerte in dessen Äste schon die Schlange? Nur ein paar Jahre später mussten beide ihr Paradies in der Strada Costineşti verlassen und verloren sich aus den Augen.


Diesen großväterlichen Garten Eden gibt es nur noch in meiner Erinnerung, aber das Foto blieb erhalten. Ich habe es die ganze Zeit über immer wieder angeschaut und mich oft gefragt, was aus Cristi, dem Gefährten meiner Kindheit geworden ist. Bisher war ich nicht in sozialen Medien aktiv, erst seit diesem Frühling habe ich ein Facebook-Profil. Eigentlich als Folge der Digitalisierung, die im Zuge der Corona-Krise auch mich erfasst hat.

Nun erfreue ich mich über zahlreiche Facebook-Freundschaften und einen regen Austausch von Postings.


Vor ein paar Tagen geschah Dank Facebook ein kleines Wunder. Auf Messenger erreichte mich eine einfache Nachricht, die mich jedoch sofort elektrisierte. Sie lautete: “Hallo Astrid, wir waren Freunde in unserer Kindheit in der Strada Costineşti. Ich habe heute auf fb geschaut und habe dich gesehen, dann dachte ich, das muss Astrid sein.” Es klang als sei es erst gestern gewesen, dabei waren über 40 Jahre vergangen.

Ich antwortete: “Oh, mein Gott Cristi, ich freue mich so….”



Adam und Eva als Dekorbild eines Jugendstilhauses in München


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