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AutorenbildHans Rothgerber

Es treibt einem immer wieder die Tränen in die Augen


Elisabeth Balzeck 1942 mit ihren Kindern Hilda und Ewald

Meine Oma war auch in Kriwoi Rog. Ihre Kinder im Alter von 7 und 8 Jahren sind bei der Großmutter geblieben, ihr Mann war im Krieg gefallen. Sie zog sich beim Aufladen von riesigen Kohlestücken einen „Riss“ im Magen zu und wurde Ende 1946 in die Ostzone entlassen, krank und dem Tod nahe. Nachdem sie in einem Lager war, wurde sie bei einer ostdeutschen Familie untergebracht, die selbst hungerte. Sie war da trotzdem gut aufgenommen, die Familie hatte Kinder im Alter der eigenen Kinder. Mit dieser Familie hatten wir durch all die Jahre des Sozialismus schriftlichen Kontakt und meine Mama telefoniert heute noch mit den Angehörigen, die noch am Leben sind! Auch besucht haben sie sich schon.


Im späten Frühling 1947 machte meine Oma sich ebenfalls zu Fuß auf den Weg zu ihren Kindern. Genaues über den Weg weiß ich aber nicht, denn an den Folgen der Magenverletzung in der Ukraine starb sie 1964.

Jedenfalls, sie kam bei ihrer Mutter im Hof an, wo meine Mama und ihr Bruder lebten. Sie wollte niemand erschrecken, sah das das 8 jährige Mädchen im Gang spielen … sie rüttelte an der Tür … meine Mama blickte auf, erkannte sie, war aber nicht sicher … sie lief im Gang nach vorne und schrie: „Grossmoder, kumm schnell … ich moon di Motter is kumm … Awer ich han Angscht!!“ Damit wurde sie später aufgezogen Diese Oma durfte ich nur haben, bis ich sechs Jahre alt war. Sie hatte langes, schwarzes Haar. Jeden Abend fragte sie mich:

"Willscht bei mir esse?"

"Was escht du?"

"Käs un gequellde Krumbire."

"Ja, ich kumm zu dir!"

Nach dem Abendessen nahm sie das Kopftuch ab und öffnete das Haar … dann durfte ich sie kämmen, so lange ich Lust hatte.


Mein Ota väterlicherseits wurde direkt aus der rumänischen Armee verschleppt, er hatte „Schlaaicher“ an (opinci), die hatte man ihm in der rumänischen Armee gegeben …

Er wurde auch krankheitsbedingt in die Ostzone entlassen. Mit einem anderen Blumentaler machte er sich zu Fuß auf den Weg ins Banat. Unterwegs fanden sie einen roten Schal. Den schnitten sie in zwei gleiche Teile, so dass jeder einen Schal hatte … er erzählte, wie sie in Deutschland ankamen, wandelnde Leichen. Eine Bäckerin hatte Mitleid und öffnete die Ladentür ... die ausgehungerten Männer rannten sie um … er sah in einem Bach ein Äpfelchen daherschwimmen, das er heraus nahm und aß.

Im Winter besuchte er uns Kinder mindestens einmal in der Woche, sie wohnten am anderen Ende des Dorfes.

Wir freuten uns und nach paar Minuten: “Otaaaaaa … verzähl uns vun Russlaaaaaand!“

Er „Losse mich in Ruh, Kiner, ich will nimmer an des zruck denge …“

Aber wir bettelten so lange, bis er erzählte. Schlimme Vorkommnisse. Er sah z.B. eines Morgens einen Freund sitzend, der vor Hunger seinen Rockzipfel („Janglseck“) gelutscht hatte und mit diesem noch zwischen den Lippen gestorben war! Er sagte bei jeder Erzählung „Ich han a aarich guder Freind ghat in Russland …“

Dieser Halt hat wohl viel zu seinen Kraftreserven beigetragen, vielleicht hat dieser durch seine Position Essen mit ihm geteilt, das weiß ich leider nicht. Der Freund war aus einem anderen Banater Dorf und sie hielten den Kontakt und besuchten sich später zu Kirchweihfesten. Der Freund starb recht früh … mein Ota hörte davon und ging im Winter quer über die Felder zu Fuß zu seiner Beerdigung.

Als kleine Kinder war uns nicht klar, was wir ihm antaten. Seine Erzählungen waren für uns wie Abenteuer. Wenn wir dachten, jetzt geht Ota bald wieder heim, dann versteckten wir seine Pelzmütze … damit er noch länger bleibt …


Kennscht mich nimmer? Malerei von Franz Ferch


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